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Gesellschaft & Religion Die Historiker und der Sound – oder: Wie klingt Geschichte?

Wie tönten Städte früher? Wann begannen Menschen, Lärm als Belastung wahrzunehmen? Welche Bedeutung hat Musik, um die Identität einer Nation zu bilden? Diese Fragen haben Wissenschaftler neu für sich entdeckt: Vergangenheit wird nun endlich auch als Klangwelt begriffen.

Historiker eignen sich seit jeher Wissen über die Vergangenheit an, indem sie Texte studieren. Das Sinnesorgan Ohr hat die Geisteswissenschaft weniger berücksichtigt, denn akustische Quellen existieren nur für die letzten 120 Jahre.

Geschichte war so bislang vor allem eine Sphäre der Lautlosigkeit. Töne und Geräusche wurden bestenfalls dann zum Untersuchungsgegenstand, wenn sie schriftlich festgehalten, also in einen Text «übersetzt» worden sind.

Das Jahrhundert der Audiovision

«Wer Ohren hat zu hören…»

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Im HörPunkt vom Montag, 2. Februar 2015 sendet Radio SRF 2 Kultur alles rund um ein wunderbares Organ: das Ohr. Über das Ohr erreichen uns die meisten Botschaften. Welt entsteht, indem sie gehört wird. Innehalten also und nachdenken über das Hören.

Um die Erfahrungen und Erzählungen von Menschen angemessen deuten zu können, müssen diese auch als Hörende und Sprechende ernst genommen werden. Gerade die Lebenswelt der Menschen des 20. Jahrhunderts ist bestimmt von der alltäglichen Gegenwart der Audiovision. Ihre Erfahrungen von Wirklichkeit sind vermittelt über die Klänge von Schallplatte und Radio, von Spielfilm und Fernsehen.

Mit den Erfindungen der technischen Akustik und Medien wie Mikrofon, Schallplatte, Tonband, Lautsprecher und Radio konnte man auch verstärkt Macht über den Hörsinn ausüben. Zugleich stellten diese Medien neue Instrumentarien der auditiven Darstellung zur Verfügung. Und über ebendiese Kanäle konnte über Macht und Gewalt reflektiert werden.

Der «acoustic turn»

Auch die Geschichtswissenschaft befasst sich seit einigen Jahren mit diesen Themen. «Sound History», so scheint es, ist in der Forschung angekommen. Historische Fachzeitschriften haben sich des Themas angenommen. Doktoranden forschen verstärkt zum Sound der Geschichte. Tagungen fragen nach den Klängen der Vergangenheit. Die Rede ist vom «acoustic turn».

Töne, Klänge und Geräusche sind Historikern zudem nicht mehr nur Quellen für etwas. Sie sind eigenständige Themen der Betrachtung. Klang ist nämlich auch ein Akteur, der als nicht zu unterschätzender Faktor – manchmal auch als Waffe – in historische Prozesse eingreift und selbst Geschichte macht. So waren historische Klänge immer auch Insignien und Instrumente von Macht.

Kirchenglocken etwa symbolisierten über Jahrhunderte die klerikale Vormacht, bis sie im 19. Jahrhundert von den Fabriksirenen abgelöst wurden, die die Menschen zur Arbeit riefen. Wie bestimmte Bilder entfalteten auch Töne, Klänge und Geräusche eine eigenständige Kraft, wie etwa die Rock- und Beatmusik der 1950/60er-Jahre oder die Lieder der baltischen Revolution nach 1989, die die Verhältnisse «zum Tanzen» brachten.

Musik als Folter

Musik indes war nie nur eine kulturelle Ausdrucksform oder ein passives Hörvergnügen. Sie wurde auch eingesetzt, um subtil zu beeinflussen, zu schockieren, gar zu foltern. Eine Musikkapelle begleitete im KZ Mauthausen Todgeweihte zur Hinrichtungsstätte. Mit Richard Wagners «Walkürenritt» fielen US-Truppen 2003 in irakische Städte ein. Durch zwangsweise Dauerbeschallung mit Musik aus der Kinderserie «Sesamstrasse» versucht(e) man im US-Gefangenenlager Guantanamo, die Persönlichkeit der dort Festgehaltenen zu brechen.

Der Autor

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Gerhard Paul ist Professor an der Europa Universität Flensburg.

Das Themenspektrum des Sounds der Geschichte ist beinahe unendlich: Es reicht von musikalischen Klängen in Gestalt von populären Ohrwürmern bis zu Hymnen und Klassikern der Neuen Musik, von Jingles über legendäre Reden, Reportagen und historische Ereignismeldungen bis hin zu Alltagsgeräuschen und dem Lärm des Krieges. Die Geschichtswissenschaft scheint in Bewegung geraten zu sein. Vergangenheit wird nun endlich auch als Klangwelt begriffen.

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