Sie sind jung, muslimisch - und cool. Ihre Eltern sind aus Pakistan oder der Türkei nach Westeuropa gekommen. Sie sprechen perfekt Schweizerdeutsch oder «British English» und beten fünfmal am Tag zu Allah. Eine gläubige Muslimin zu sein und gleichzeitig Europäerin, das ist für diese jungen Leute kein Gegensatz. Sie entwickeln in den westeuropäischen Metropolen von Paris über London bis Berlin eine ganz eigene Jugendkultur.
«I-Slam» – der muslimische Poetry Slam
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In Deutschland haben junge Musliminnen und Muslime neue Comedy-Formate wie den «I-Slam» kreiert – ein Wortspiel mit den Worten «Islam» und «Slam Poetry». Die Veranstaltung tourt durch verschiedene deutsche Städte und hat letztes Jahr erstmals auch in Zürich stattgefunden. Mit witzigem und bisweilen sarkastischem Ton kritisieren die jungen Poetinnen und Poeten die Stereotypen, mit denen sie als Muslime in westlichen Gesellschaften konfrontiert sind. Aber sie nehmen auch ihre Eltern auf die Schippe.
Nicht nur «unsere türkischen Mitbürger»
Die Comedians der Gruppe «Uma Lamo» etwa erzählen folgenden Witz: «Eine Umfrage in Deutschland: Haben Sie etwas gegen unsere türkischen Mitbürger? 10 Prozent antworten: Nein, ich pflege einen toleranten Umgang. 20% sagen: Ja, alle Türken sollen raus aus Deutschland. Und 70 Prozent sagen: Efendem? («Wie bitte?» auf Türkisch).»
Eine selbstbewusste, neue Generation junger Musliminnen und Muslime tritt da also an die Öffentlichkeit. Junge Menschen, die anders als die eigenen Eltern perfekt Deutsch sprechen – und die sich nicht mit dem Platz der «Mitbürger» zufrieden geben, sondern vollwertige Bürger sein wollen.
Ein Mix aus Religion und Jugendkultur
Die Soziologin Maruta Herding hat zu muslimischer Jugendkultur in Westeuropa geforscht: «Dass gerade jetzt eine solche Szene entsteht, hat damit zu tun, dass die Muslime endlich in Europa angekommen sind.» Zwar lebten muslimische Einwanderer schon seit Jahrzehnten hier, aber sie seien lange Zeit eher unsichtbar gewesen. Die zweite und dritte Generation sind selbstverständlich mit Rap und Graffiti, Popmusik und westlicher Mode aufgewachsen. Sie entdecken aber auch die Religion wieder für sich – und verbinden nun beides.
9/11 machte viele Jugendliche religiöser
Paradoxerweise sind es ausgerechnet die Terroranschläge vom 11. September 2001, die viele junge Musliminnen und Muslime zur Religion führten. Nicht, weil sie das Vorgehen der Attentäter begrüssten, sondern weil sie danach immer wieder auf ihre Religion angesprochen wurden, sich dafür rechtfertigen mussten.
«Viele Muslime haben dadurch zu einem stärkeren Selbstbewusstsein gefunden», erklärt Soziologin Herding. Sie setzen sich bewusster mit dem Islam auseinander und interpretieren die Religion auch neu. Wenn junge Rapper etwa von ihrem Glauben zu Allah singen, wecken sie das Missfallen mancher Religionsgelehrter, die Musik für unislamisch halten. Muslimische Jugendkultur hat also durchaus auch das Potenzial, die Religion von innen zu erneuern, ist die Soziologin überzeugt.