Die meisten der 45 Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer sind fromme Menschen. 75 Prozent von ihnen gehören einer der drei orthodoxen Kirchen an, die im Lande existierenden. Der Rest verteilt sich auf die mit Rom unierte Griechisch-katholische Kirche, die evangelischen Kirchen sowie jüdische und muslimische Glaubensgemeinschaften.
So oder so – anders als in der Schweiz sind am Sonntag die Kirchen in der Ukraine voll. In der jetzigen, bürgerkriegsähnlichen Situation erst recht. Angst macht beten.
Gottgeschütztes Land
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Im Wahlkampf für die Präsidentschaftswahl vom Sonntag haben sich die Kirchen äusserlich zurückgehalten. Eher indirekt unterstützte die dem Papst nahestehende Griechisch-katholische Kirche die frühere Regierungschefin Julia Timoschenko. Ebenfalls indirekt war die 1991 abgespaltene Ukrainisch-Orthodoxe Kirche des Kiewer Patriarchats für den Wahlfavoriten und Schoko-Milliardär Petro Poroschenko. Die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats lehnt sich stark an den wortgewaltigen Moskauer Patriarchen Kyrill an, einen engen Freund von Wladimir Putin. Sie steht dieser Wahl eher skeptisch gegenüber.
Nach aussen hin sind sich die mächtigen Kirchen in zwei Punkten (noch) einig: Sie wollen die Einheit der Ukraine erhalten und jedes Blutvergiessen vermeiden. Die Ukraine ist für sie alle ein «gottgeschütztes» Land und die Metropole Kiew seit dem 10. Jahrhundert eine der wichtigsten Städte des Christentums. Gemeinsam ist den grossen Kirchen der Ukraine in den drei Monaten des harten und teilweise blutigen Protestes auf dem Maidan-Platz auch der stete Versuch gewesen, zwischen den Kontrahenten zu vermitteln.
Gespaltene orthodoxe Kirche
Je länger aber das zweitgrösste europäische Flächenland hin- und hergerissen ist zwischen Ost- und Westukrainern, zwischen den Interessen Russlands auf der einen sowie der EU und der NATO auf der anderen Seite, desto zerrissener treten auch die Kirchen auf.
Ohnehin lebt die Orthodoxe Kirche seit 1991, seit der Unabhängigkeit der Ukraine, in einer Art Schisma. Sie ist gespalten: Einerseits in die nach wie vor grösste, die russisch-sprachige Kirche, die sich im Verbund mit dem Moskauer Patriarchat befindet. Andererseits in die selbstverwaltete Kiewer Kirche. Die Kiewer Kirche ist allerdings von der offiziellen Weltorthodoxie nicht anerkannt, dort geht man davon aus, dass es mit Russland und der Ukraine seit 1991 zwar zwei unterschiedliche Staaten gibt, aber noch immer einen orthodoxen Kirchenverbund.
Eine orthodoxe Staatskirche
Man kann davon ausgehen, dass der mächtige Moskauer Patriarch Kyrill eine ähnliche Vision hat wie der russische Präsident Putin: Beide hegen durchaus imperiale Pläne. Bei Kyrill steht das historische Ideal einer grossen orthodoxen Staatskirche im Vordergrund.
So ist kaum anzunehmen, dass die freie Präsidentenwahl in der Ukraine die Situation der Kirchen im Lande entspannen wird. Zu stark sind sie schon drin im Sog von Pro-West oder Pro-Ost. Und sollte es wirklich zu einem echten Bürgerkrieg in der Ukraine kommen, so wird das Verhalten der Kirchen wohl ähnlich verlaufen wie in den Jugoslawien-Kriegen vor 20 Jahren – die einen haben mit Inbrunst die serbischen Waffen gesegnet und die anderen die kroatischen.