Viele Städter sehnen sich nach einem Leben ohne Hektik und Stress. Sie möchten neben der äusseren auch ihre innere Ruhe finden. Da drängt sich das einfache Leben auf dem Land geradezu auf. Hier lockt die Konzentration auf das Wesentliche als Kontrast zu den urbanen Zumutungen und Zerstreuungen.
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Gelbe Enten aus Sicht der Stadtkinder
Viele Kinder in der Stadt glauben, Enten seien gelb, da sie so im Fernsehen gezeigt werden. Auf dem Land dagegen sind Kinder nur so von Tieren umgeben - und lernen diese auch kennen.
Auch deshalb glauben viele Eltern, dass ihre Kinder auf dem Dorf besser und gesünder aufwachsen können als in der Stadt. «Tatsächlich gibt es diese Vorteile für Kinder», so die Philosophin Sevenja Flasspöhler im aktuellen «Philosophie Magazin». «An einem Baum hochzuklettern und wieder herunterzurutschen bedeutet etwas ganz anderes, als die Rutsche auf dem Spielplatz zu nutzen.»
Vorteil der Stadt: das soziale Leben
Kinder würden in der Stadt mit ihren vielfältigen Lebensformen besser auf das Leben vorbereitet. Sie würden lernen, mit unbekannten und fremden Menschen zu leben. «Auf dem Dorf herrscht da ein ganz anderer Konformitätsdruck», gibt die Philosophin zu denken. «Zwar hilft dort jeder jedem, aber man muss dazu gehören».
Die Stadt hingegen halte Kinder beweglich und biete Möglichkeiten zur Veränderung. Flasspöhler zitiert den Philosophen Helmuth Plessner, der in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts schrieb, moralisches Verhalten beweise sich erst dann, wenn Menschen sich nicht mehr nur aufgrund gemeinschaftlicher Verbundenheit, ihrer Gesinnung oder Herkunft helfen würden.
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Plädoyer für die Anonymität
Helmuth Plessner spricht vom tiefen Bedürfnis des Menschen, sich dem Blick der Anderen zu entziehen. Nichts sei unerträglicher für den Menschen, als immer nur um den eigenen Wesenskern rotieren zu dürfen. In der Stadt lässt sich mit Rollen spielen, im Dorf nicht. In der Stadt könne man sich überdies auch dem Blick der Anderen entziehen, wenn man nicht gesehen werden wolle, so Plessner.
Nicht neu – aber spannend
In der aktuellen Ausgabe des «Philosophie Magazin» zur Frage nach dem guten Leben werden verschiedene philosophische Positionen vorgestellt. Für das Land beispielsweise entschied sich ohne wenn und aber der Schwarzwälder Mesmersohn und Philosoph Martin Heidegger. Er setzte die konzentrierte Einsamkeit in der heimischen Bergwelt gegen die Vereinzelung und Anonymität der Grossstadt.
Modernes Denken braucht die Metropole
Für die gegensätzliche Einstellung wird im «Philosophie Magazin» das Werk Walter Benjamins aufgeführt. Es bildet das «urbane Gegenstück» zu Martin Heidegger. Der in Berlin geborene Sohn einer grossbürgerlichen Familie empfand die europäischen Grossstädte nicht einfach nur als anregend: Sie boten ihm zusätzlich einen faszinierenden Einblick in das Wesen der Moderne. Walter Benjamin steht für den Typus des Flaneurs, der ziellos durch die Städte geht, sich treiben lässt, beobachtet und so seine Erkenntnisse im städtischen Getümmel gewinnt.
Völlig überschätzt
Der Unterschied zwischen Stadt und Land sei schon immer grandios überschätzt worden, schreibt hingegen Ronald Düker im «Philosophie Magazin». Schon Immanuel Kant, der Königsberg nie verliess, habe das verstanden. Kant wusste, dass er einen nach aussen klar abgegrenzten Ort brauchte, von dem aus er seine Gedanken in alle Richtungen schwärmen lassen konnte, schreibt Düker.