Seit 50 Jahren laufen Werbespots am Schweizer Fernsehen. Gibt es spezifisch Schweizerische Werbung?
Roland Grieder: Die Schweizer Werbung kommt eher zurückhaltend und bieder daher, im Gegensatz etwa zur englischen Werbung. Sie muss in vier Landessprachen funktionieren. Wirklich gute, eigenständige Werbung entsteht meist dann, wenn darin Identifikationsfiguren vorkommen.
Ein Blick auf die Geschichte: Früher hat es gereicht, den Leuten zu sagen, «das ist gut, greifen Sie zu». Warum reicht das nicht mehr?
Nach dem Krieg gab es eine Mangelwirtschaft. Man hatte noch keine Vorstellung der Güter, die angeboten wurden. Man musste ganz einfach sagen: «Das gibt es, kauf es» – das genügte. Heute haben wir zu einem bestimmten Produkt eine immense Auswahl. Da müssen die Leute ein wenig anders herangeführt werden.
Das macht man seit einiger Zeit mit Identifikationsfiguren. Warum sind diese wichtig?
Wie soll man für ein Produkt werben, wenn es zig andere, gleichwertige Produkte gibt? Es gibt kein herausragendes Verkaufsargument mehr. Also nimmt man eine Person, denn an die kann man sich gut erinnern.
Seit den 70ern versucht man in der Werbung Geschichten zu erzählen. Hat das mit dem Erinnern zu tun?
Es hat damit zu tun, dass man heute Lifestyle verkaufen will. Bei so vielen Angeboten muss man sich differenzieren. Wenn ich einen gewissen Lifestyle lebe, dann möchte ich mich mit dem Produkt identifizieren können – und die Werbung hat natürlich enorm viele Lifestyle-Typen bereit. Diese müssen dann ganz gezielt angesprochen werden.
Ist Werbung, insbesondere TV-Werbung, immer auch ein Spiegel der Zeit?
Ich stelle fest, dass die Werbeindustrie sehr konservativ funktioniert. Wir haben immer noch Waschmittelreklame. Wir haben immer noch die Genderbilder, die sich über die ganzen Jahrzehnte gehalten haben. Es verändert sich wenig, man kann nichts Neues mehr bringen, insbesondere am Fernsehen.
Sie haben die Genderfrage angesprochen. Das Bild der Hausfrau ist natürlich haarsträubend.
Männer bekommen aber auch was ab. Im Haushalt ist der Mann ein Trottel, der versteht bestenfalls was unter der Leitung der Frau.
Wieso verändert sich wenig? Will man an Klischees anknüpfen?
Es gibt keine neuen Geschichten. Wenn man eine Waschmaschine verkaufen will – was will man da anderes tun? Es muss in Verbindung mit Familie stehen. Es muss zuhause stattfinden. Ich kann in den seltensten Fällen ein Waschmittel mitten in der Stadt diskutieren. Irgendwann steht die Personenkonstellation fest. Sie bleibt bei Mann und Frau oder Kindern – vielleicht könnte es langsam eine Hinwendung zu neuen Familienformen geben, die jetzt im Entstehen sind.
Hat der klassische TV-Spot eine Zukunft?
Zuschauer sind – wie wir alle wissen – genervt von den Werbespots. Werbesoziologisch interessant zu beobachten ist, dass es das sogenannte Bezahlfernsehen gibt, wo Werbung ganz ausgeschaltet wird. Ich glaube, die TV-Spots wird es zwar immer geben – aber gleichzeitig wird sich die Werbung in andere Kanäle verschieben, beispielsweise ins Internet oder mittlerweile sogar auf das Handy, was auch zu problematischen Fragen Anlass gibt.
Welche problematischen Fragen?
Wenn Werbung aufdringlich wird, wenn man ihr nicht mehr ausweichen kann – dann haben wir die Diskussion darüber, wer uns kontrolliert. Wer genau weiss, was wir über das Smartphone, das Tablet und den Computer konsumieren? Wir müssen uns Gedanken machen, wie weit und was wir von uns preisgeben wollen. Das kann das Fernsehen bisher noch nicht. Es sei denn, es gibt dann ein intelligentes Fernsehen.