Ruth Westheimer, bekannt als «Dr. Ruth», ist in den USA mit der ihr eigenen Verbindung von Sachkunde, Lebenserfahrung und Mutterwitz zur gefeierten Medienpersönlichkeit geworden, der nichts Menschliches, jedenfalls soweit es die menschliche Sexualität betrifft, fremd ist.
Weniger bekannt ist, dass Ruth Westheimer 1938 als 10-Jährige aus Frankfurt in die Schweiz kam – im Rahmen eines Transports von 300 jüdischen Kindern, zu deren Aufnahme sich die Schweiz nach der Flüchtlingskonferenz von Évian verpflichtet hatte. Alle waren unter sechzehn, alle ohne Eltern. Sechs Monate sollten sie bleiben und die Familien in dieser Zeit die Auswanderung aus Nazideutschland vorbereiten. Was nie gelang. Aus sechs Monaten wurden sechs Jahre.
Beginn einer langen Freundschaft
Für Ruth Westheimer, die streng religiös erzogen worden war, fand sich kein geeigneter Pflegeplatz in einer jüdischen Familie. Darum kam sie ins vom jüdischen Frauenverein Zürich betriebene und finanzierte Kinderheim «Wartheim» in Heiden, Appenzell. Dort lernte sie ihre Freundin Ilse Wyler-Weil kennenlernt.
Ilse Wyler-Weil kam mit acht Jahren nach Breisach am Rhein, wo sich ihr aus Strassburg stammender Vater niederliess, nachdem er im Ersten Weltkrieg als Soldat auf deutscher Seite gedient hatte. Er wurde, wie der Vater von Ruth Westheimer, nach der Reichskristallnacht am 10. November 1938 verhaftet und in ein «Arbeitslager» überstellt. Die Verhaftung der Väter hat den beiden Mädchen den lebensrettenden Platz auf dem Kindertransport verschafft.
Grosse Dankbarkeit für die Schweiz
Heute betont Ruth Westheimer, wie sehr sie sich der Schweiz verpflichtet fühle. Sie macht jedes Jahr Bergferien und besucht Ilse Wyler-Weil in Uster. Dort stellen sich die beiden auch dem Interview, das selbst Medienprofi Ruth Westheimer nicht leicht fällt. Denn die Zeit, als sie in die Schweiz kam, war die wohl schwierigste ihres Lebens: Aus einem geliebten und behüteten Kind wurde eine Empfängerin offiziöser Wohltätigkeit, die zugleich begriff, dass sie sich, bei allen Nöten, glücklich zu schätzen hatte.
Zusammenhalt in der Gruppe
Ruth Westheimer verschweigt aber auch nicht, dass sie im Kinderheim Wartheim zwar ordentlich ernährt, gekleidet und versorgt, aber, von wenigen rühmlichen Ausnahmen abgesehen, recht lieblos betreut wurde. Die Berufe, die man die Kinder lernen liess, waren alle auf das Praktische, Handwerkliche ausgerichtet. Bei den Mädchen beschränkte sich das auf Haushalt und korrekte Haushaltführung mit Diplomabschluss.
Und dies zu einer Zeit, während der die Briefe von zu Hause immer mehr ausblieben und das Kinderheim allmählich zum Waisenhaus wurde. Dass sie das «psychologisch überlebt» haben, schreibt Ruth Westheimer dem Zusammenhalt der Kinder innerhalb der Gruppe zu. Der bestand nach 1945 weiter, obgleich viele, darunter auch sie selbst, wie von den Behörden gewünscht, das Land wieder verlassen hatten.