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Gesellschaft & Religion Ein Museum für das Unsichtbare

Niemand kann sie sehen, aber jeder Mensch trägt in und auf sich zwischen eineinhalb und zwei Kilo Mikroorganismen. Ein neues Museum in Amsterdam zeigt, wie diese Kleinst-Lebewesen aussehen, warum sie lebenswichtig sind und wie sie sich fortpflanzen.

Mit einem Zungenkuss hat alles angefangen: Haik Balian, der Direktor des Amsterdamer Zoos, fragte sich vor ein paar Jahren, wie er seine pubertierenden Kinder für die Natur begeistern könnte. Wenn er ihnen zeigen könnte, was beim Austausch von Zärtlichkeiten passiert, würden sie verstehen, dass sie Teil der Natur sind, sagte sich Balian.

Eine gute Dekade später ist der genannte «Kiss-O-Meter» der Star von Micropia, dem neuen zweistöckigen Mikroben-Museum, das zum Amsterdamer Zoo Artis gehört. Dieser «Küssemesser» besteht aus einem Plexiglasherz, das auf einer kleinen Bühne angebracht ist. Sobald sich dort oben zwei Menschen einen Kuss geben, erscheint auf dem Videoschirm dahinter die trockene Mitteilung: «Sie haben soeben eine Million Mikroben ausgetauscht.»

60 Schimmelarten auf der grossen Zehe

Ähnliche «Hiobsbotschaften» hat der digitalisierte Körperscan in petto: «Auf Ihrer grossen Zehe leben 60 Schimmelarten», steht auf einer grossen Tafel, sobald ein Besucher auf seine Füsse klickt. Wie die ausgetauschten Mikroorganismen beim Zungenkuss, ist auch diese Anzahl nicht beängstigend – sondern völlig normal.

Übrigens leben auch auf unseren Handys unzählige Kleinstwesen. Wer’s nicht glaubt, kann sein Hosentaschentelefon im Museum auf einen Scanner legen und miterleben, wie die Fläche von einer weissen, die Mikroben darstellenden Masse überzogen wird.

Die Tschernobyl-Bakterie repariert sich selbst

Vergrösserte Aufnahme einer kleinen, dreieckigen Alge.
Legende: Unsichtbares Leben: Kieselalgen gehören zu den wichtigsten Sauerstofferzeuger auf der Erde. Micropia/Wim van Egmond

Mehr als hunderttausend Milliarden unsichtbarer Mikroben trägt ein Mensch mit sich herum. Sie bestimmen unser Leben: was wir riechen, schmecken, ob wir gesund sind oder krank. Und sie sind verantwortlich für die Hälfte der Sauerstoffproduktion auf der Erde. Ein Teil dieser Mikroorganismen wird in Micropia sichtbar: Dank neuen Techniken sind die oft bunten und seltsam geformten Mikroben dreidimensional in tausendfacher Vergrösserung zu bestaunen.

So gibt es eigens für dieses neue Haus designte Mikroskope mit Touchscreen und Joystick. Damit kann mehr als eine Person dasselbe Mikrowesen beobachten und zugucken, wie es sich paart. Via Bildschirm erfahren Besucherinnen und Besucher Hintergründe zum Leben der jeweiligen Mikrobe.

Noch abenteuerlicher wird es im so genannten Extremophilen-Theater. Wer an einem grossen Rad dreht, trifft auf Bakterien aus der Antarktis, die Antigefrierstoffe in sich tragen. Oder auf jene Sorte aus dem verstrahlten Tschernobyl, die immer ein paar Kopien ihrer eigenen DNA bei sich trägt, damit sie sich jeweils selbst reparieren kann.

99 Prozent der Mikroben sind noch unbekannt

Noch ist erst ein winziger Teil der faszinierenden Mikrobenwelt untersucht, 99 Prozent liegen nach wie vor brach. «Als käme Steve Jobs gerade mit seinem ersten Computer aus der Garage», vergleicht Zoo-Direktor Haik Balian den Stand der Forschung mit jenem der IT-Welt. Mikrobiologie zu studieren sei eben weniger sexy als beispielsweise Kriminologie. Balian will mit dem neuen Museum eine Plattform für Schulen und Universitäten bieten. Schliesslich heisst der Amsterdamer Zoo mit vollem Namen Natura Artis Magistratis (Die Natur ist die Lehrmeisterin von Kunst und Wissenschaft) und hatte schon immer einen pädagogischen Anspruch.

Audio
Elsbeth Gugger über «Micropia»
aus Kultur kompakt vom 07.10.2014.
abspielen. Laufzeit 4 Minuten 7 Sekunden.

Eine erste Schulstunde gibt’s bereits im Museum. Hinter einer dicken Glasscheibe kann man die Tierpfleger, die in Micropia Laboranten heissen, beobachten, wie sie Mikro-Lebewesen züchten oder sie mit Zuckerlösungen füttern. Das Labor ist gut geeignet für zukünftige Unterrichtsstunden mit echten Lebewesen. Für andere Mikroorganismen, wie das gefährliche Ebola-Virus, die Krankenhausbakterie MRSA oder das Aids-Virus hat das Museum den sichersten Weg gewählt: Sie sind als Glasmodelle ausgestellt.

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