Inmitten der belebten Strassen voller restaurierter Holzhäuser und Jugendstil-Bauten, die für Rigas Unesco-Welterbestatus stehen, versteckt sich ein kreatives Refugium. Am Tag wirkt die Skolas iela 15, die Schulstrasse 15, verschlafen. Doch mit Untergang der Sonne zieht das Haus dann meist junge Menschen an wie eine Lampe die Nachtfalter.
Es handelt sich um keinen weiteren Nachtclub in der bei britischen und skandinavischen Feiertouristen beliebten lettischen Hauptstadt. Das Kulturzentrum «Kaņepes» ist vielmehr ein Kulturprojekt mit einer Mission.
Charme statt Chic
«Wir bieten Raum für neue noch nicht etablierte Künstler und Musiker», sagt Dāvis Kaņepe, Gründer des «Kultūras centrs Kaņepes» (KCK). «Wir sind wie eine Kommune, alle kommen mit dem Fahrrad hier her und anstatt, dass wir eine schicke Bar aufmachen, investieren wir die Einnahmen gleich in das Haus.»
Denn das ist nötig: Während in der Nachbarschaft die Gründerzeithäuser immer schicker werden, behielt das Haus mit seinem Hof einen provisorischen Charme, der die alternativen Veranstaltungen unterstreicht.
Einst fanden an dem Ort festliche Veranstaltungen des deutsch-baltischen und russischen Adels statt, heute ist das KCK eine Mischung aus Café, Bar, Ausstellungs- und Konzertsaal und lockt Kulturinteressierte zu Ausstellungen, Lesungen, Konzerten und vielen Improvisationsperformances an.
Geheimtipp für alle
Mittlerweile ist es – trotz immer wiederkehrender Differenzen mit der Stadtverwaltung und der Polizei wegen angeblicher Nichtbeachtung der Nachtruhe – eine feste Institution geworden zwischen den berühmten Rigaer Opern- und Orchesterhäusern. Kaum ein Reiseführer lässt das KCK als «Geheimtipp» aus.
Dāvis Kaņepe sieht diese Entwicklung nicht unkritisch, sieht aber auch eine «politische Mission» für seine kulturelle Einrichtung. Vor dem Hintergrund des hohen Anteils an russischer und russischsprachiger Bevölkerung werden besonders viele Künstler aus dem Ausland ins KCK geladen. «Wir wollen, dass ein gemeinsames Bewusstsein für den Ort entsteht und wir glauben an eine kulturelle Revolution», sagt Kaņepe.
Kunst aus der Fabrik
Noch vor zwei Jahren residierte der Initiator Kaspars Lielgalvis mit einer Handvoll Designern, Malern, Theaterkünstlern und Musikern in einer alten Fabriketage.
In der Valsts elektrotehniska fabrika wurden einst sowjetische Radioempfangsgeräte produziert. Nach der Wende lag das Gelände brach und wurde von alternativen Künstlern besiedelt.
«Voll gut»
Die Undergroundkultur «blühte»: In Atelierwohnung schufen die Kreativen, was am Abend gezeigt wurde. Fotografie, Malerei, Performance und viel improvisierte Musik. Ein Investor hatte jedoch andere Pläne mit dem Areal.
Nach einer temporären Aufnahme des Kulturzentrums in das sogenannte «Pressehaus» in Riga, sucht Lielgalvis nach einer neuen dauerhaften Residenz. «Totaldobže» heisst so viel wie, «voll gut». Und so macht das Kulturzentrum weiter und erweitert seine Tätigkeit sogar auf andere lettische Städte oder auch Estland.
«Wir wollen Plattform für Experimente und die Zusammenarbeit von unterschiedlichen Künstlern und Stilrichtungen sein», sagt Lielgalvis. Die Institutionen in Riga, Galerien oder Musikbars, seien spezialisiert auf eine Subkultur oder Kunstrichtung. «Was wir aber wollen, ist vor allem Diversität in jeglicher Form.»
Volk der Sänger
Und so ist auch das aktuelle Projekt von «Totaldobže» interdisziplinär angelegt: «Melnie Caurumi» (zu Deutsch: «Schwarzes Loch») besteht aus Workshops und der Improvisation verschiedener Musik- und Kunststile.
Darunter sind auch mal musikalische Poetry Slams. Denn nicht erst seit der «Singenden Revolution» von 1987-1991 gelten die Letten als Volk der Sänger. Und die Poetry Slams sind eine nicht kommerzielle und kreative Alternative zu den traditionellen lettischen Sängerfesten.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 25.07.2015, 17:22 Uhr