«Natürlich gibt es bei uns auch Probleme, das können Sie ruhig schreiben», sagt Lutz Amsel am Telefon. Als Vizelandrat von Märkisch-Oderland, einem Landkreis östlich von Berlin, ist er verantwortlich für Asylbewerber. Märkisch-Oderland gehört zu jenen Gegenden Ostdeutschlands, die seit der Wende unter enormem Bevölkerungsschwund leiden – ohne Aussicht auf Besserung. Einige Hundert Flüchtlinge hat der Landkreis schon aufgenommen.
Den entvölkerten Landkreis wiederbeleben
Lutz Amsel rechnet bis Ende 2015 mit insgesamt 1500 Flüchtlingen, die sein Landkreis aufnehmen könnte – bei 190'000 Einwohnern. «Dass manche hier von einer Flut von Flüchtlingen sprechen können, ist mir ein Rätsel. Wenn überhaupt, ist das eine sehr kleine Flut», sagt Amsel. Er und die zahlreichen Bürgermeister seines Landkreises sehen in den Flüchtlingen eine Chance, die entvölkerte Region wieder zu beleben.
Natürlich seien nicht alle Einwohner begeistert über die Flüchtlinge, räumt Amsel ein. Aber beim Grossteil der Bevölkerung bestehe der Wille, damit klarzukommen. Von Vorteil sei, dass die Menschen im Oderbruch, wie die Gegend östlich der Oder auch genannt wird, grosse Migrationsströme gewohnt seien. Friedrich der Grosse hatte hier im 18. Jahrhundert den Hugenotten Zuflucht und Religionsfreiheit gewährt und nach dem Zweiten Weltkrieg haben viele Flüchtlinge hier eine neue Heimat gefunden.
An runden Tischen über Probleme sprechen
Neulich hat Amsel in einer «Nacht-und-Nebel-Aktion» zwei Flüchtlingsfamilien im 870-Seelendorf Golzow angesiedelt, um überhaupt noch eine erste Klasse in der Grundschule von Golzow eröffnen zu können. Dank sechs syrischen Flüchtlingskindern wurde die Existenz der legendären Schule (siehe Kasten) gesichert.
Wichtig sei, alles ordentlich zu organisieren, sagt Lutz Amsel. Es brauche eine Einwohnerversammlung, um über die Ansiedlungspläne zu informieren. Danach werden die Orte und die Flüchtlinge mit Willkommenskreisen unterstützt; die Kinder werden in Tagesstätten und Schulen untergebracht, wo sie Deutsch lernen.
Ausserdem veranstaltet der Landkreis regelmässig runde Tische, um über Probleme zu sprechen. Denn in Deutschland zu wohnen, müsse gelernt sein: den Müll trennen, die Hausordnung verstehen oder mit den Nachbarn reden.
Langfristige Jobperspektiven fehlen
Obgleich Lutz Amsels Erzählungen erbaulich tönen – kann man mit den Flüchtlingen tatsächlich den dramatischen Bevölkerungsschwund seit der Wende ausgleichen; besonders dann, wenn niemand weiss, wie lang sie bleiben werden? Das Problem ist, dass langfristige Jobperspektiven fehlen – dessen ist sich Amsel bewusst. Man bemühe sich, sagt er.
Das Krankenhaus in Wriezen beispielsweise braucht dringend Pflegekräfte. Dafür möchte er die Asylbewerber motivieren. Was die einheimische Bevölkerung dazu sagt, die unter Langzeitarbeitslosigkeit leidet? Amsel erzählt von einer freien Stelle in einer Bäckerei, für die sich weder ein Deutscher noch ein Interessent aus der EU gefunden habe. Die Pflegeberufe wiederum seien schlecht bezahlt, in der Regel zu schlecht für einheimische Arbeitskräfte.
Wichtig sei, hinzustehen und zu signalisieren: «Ihr seid willkommen!» Das müsse den gesellschaftlichen Ton bestimmen, sagt Lutz Amsel. Man müsse beweisen, dass es eben nicht überall Brandstifter gäbe wie in Tröglitz.