Zum zweiten Mal befragt Papst Franziskus seine Bischöfe im Vatikan: Wie leben Katholikinnen und Katholiken Familie und Sexualität wirklich? Die traditionellen kirchlichen Vorstellungen und die Realität klaffen weit auseinander. Das wurde bereits an der letztjährigen Synode überdeutlich.
Bei uns in der Schweiz etwa lassen sich rund die Hälfte aller katholischen Ehepaare scheiden. In Afrika gibt es Gegenden, in denen Vielehe und das Zusammenleben Unverheirateter auch unter Katholiken die Regel sind. In Südamerika leiden zerbrochene Familien wirtschaftliche Not. Diese sehr unterschiedlichen Lebensrealitäten sollen nun mit der «katholischen», wörtlich «allumfassenden» Lehre in Einklang gebracht werden. Aber das scheint fast unmöglich. Moderate Beobachterinnen wie Prof. Eva-Maria Faber von der katholischen Hochschule Chur erwarten keine Revolution.
Sexualmoral als Zerreissprobe
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Wie lässt sich die Einheit der Kirche retten und gleichzeitig ihr Überleben in modernen Gesellschaften sichern? Auch um diesen Spagat geht es in Rom. Denn einige afrikanische Bischöfe machten klipp und klar, dass etwa Homosexualität eine Todsünde sei und damit ein nicht zu diskutierendes Thema. So steht zu vermuten, dass Homosexualität oder auch Transsexualität als allzu heisse Eisen kaum behandelt werden.
Ähnlich kompromisslos äussert sich der einflussreiche afrikanische Kurienkardinal Robert Sarah gegenüber wiederverheirateten Geschiedenen: Sie zur Eucharistie zuzulassen, sei «Verrat am Evangelium». Genau das ist aber in der Schweiz gängige Praxis.
Chance für neuen Umgang mit Wiederverheirateten
Beim Thema wiederverheiratete Geschiedene wollen Bischöfe aus Deutschland, Österreich und der Schweiz nicht einknicken. Für sie ist die volle Inklusion von Patchworkfamilien überlebenswichtig. Die Kardinäle Marx und Schönborn berufen sich auf die von Papst Franziskus ausgerufene Pastoral der Barmherzigkeit.
Man müsse die traditionelle Lehre der Vergebung und bedingungslosen Annahme eines jeden Menschen nur konsequent durchbuchstabieren. Nächstenliebe und Versöhnung seien schwerer zu gewichten als sexualmoralische Einzellehren, meinen sie. An die Einführung einer kirchlichen Scheidung ist dabei jedoch keinesfalls zu denken.
Freiheit der Entscheidung vom Konzil akzeptiert
Der Luzerner Kirchenhistoriker Adrian Loretan weist auf das Zweite Vatikanische Reformkonzil von vor genau 50 Jahren hin. Damals wurde die Würde der Person proklamiert. Sie beinhalte auch das Selbstentscheidungsrecht der Person. Jeder und jede müsse mit sich selbst ausmachen dürfen, wie sie es mit Sexualität halte. Dabei habe die Kirche lediglich seelsorgerlich zu begleiten und ihr die Liebe und Vergebung Gottes immer wieder zuzusprechen.
Diesen Kniff hat Prof. Loretan auch dem Sittener Bischof Jean-Marie Lovey mit auf seinen Weg nach Rom geben. Lovey sei sehr offen gewesen für diese Argumentation. Bischof Loveys letzte Voten zeigen ihn als jemanden, der wie der Papst selbst die seelsorgerliche oder schlicht menschenfreundliche Haltung höher wertet als traditionelle Einzelnormen.
Der Bedeutungsverlust der kirchlichen Lehre
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Kirchenjurist Loretan bringt es weiter auf den Punkt: Wem soll die Kirche denn das Seelenheil noch zusprechen, wenn keiner mehr da ist, der es hört. Wenn alle austreten, die aus traditioneller Sicht in «unregelmässigen Verhältnissen» leben, bleiben in der Schweiz wenige übrig. Die Verkündigung des Heils ist aber die vorrangige Aufgabe der Kirche, der sie nachkommen können muss.
Ein Zeichen: Papst Franziskus gibt Ortsbischöfen mehr Freiheit
Anfang September hat Papst Franziskus das Ehe-Nichtigkeitsverfahren (Ehe-Annullation) vereinfacht. Darin delegierte er Entscheidungsgewalt an die Ortsbischöfe. Ein programmatischer Schritt, meint auch Prof. Eva-Maria Faber. Er könnte den Weg vorzeichnen, wie römisch-katholische Kirche lokal verschieden mit Ehe- und Familienfragen umgehen könnte.
Im Kleinen haben wir diese Diversität bereits: Während im Bistum Chur Homosexuelle keinen Segen finden, werden sie im Bistum Basel herzlich begrüsst und auch im Bistum Sankt Gallen vorbehaltlos angenommen. Bistümer könnten also mehr Freiheit im Umgang mit solchen Angelegenheiten erhalten. Viel mehr kann man von dieser Synode wohl nicht erwarten. Aus innerkirchlicher Sicht wäre das aber schon viel und könnte ganz neue Handlungsspielräume eröffnen.