Afrika war lange genung fremdgesteuert; höchste Zeit, dass die Afrikaner das Ruder selbst in die Hand nehmen – darüber waren sich Künstler, Aktivisten und Intellektuelle einig am Festival «African Futures», das zeitgleich in Johannesburg, Lagos und Nairobi stattfand.
Sie wünschen sich mehr Unabhängigkeit von den ehemaligen Kolonialmächten, von Entwicklungshelfern und ausländischen Investoren. Afrikaner müssten sich auf ihre eigenen Träume besinnen, meint der Kameruner Science-Fiction-Filmemacher Jean-Pierre Bekolo: «Selbst wenn aus den meisten Utopien mittlerweile Dystopien geworden sind.»
Afrika als Labor der Zukunft
Doch wie lassen sich diese Träume in der harten afrikanischen Realität umsetzen? Der erste Schritt auf dem langen Weg beginne im Kopf, sagt Achille Mbembe. Der Politikwissenschaftler gilt als einer der Vordenker des Postkolonialismus. «Um die bestehenden Machtstrukturen zu verändern, muss sich Afrika nicht nur der Welt öffnen, sondern auch gegenüber sich selbst.»
Der Kontinent müsse seine Stärke erkennen und sich als Zentrum wahrnehmen, nicht als Teil der globalen Peripherie. «Vieles, was der Welt noch bevorsteht, wird hier bereits ausprobiert. Afrika ist mehr denn je ein Labor der Zukunft.»
Proteste als neuer Freiheitskampf
Achille Mbembe beschreibt einen Kontinent im Umbruch. Eine Zeit, die er mit dem Übergang von der Kolonialherrschaft zur Unabhängigkeit vergleicht. Er erzählt von einer jungen Generation, die die bestehende gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Ordnung grundsätzlich in Frage stellt.
Als Professor an der Johannesburger Wits-Universität erlebt Mbembe die Studentenproteste momentan hautnah. 20 Jahre nach der demokratischen Wende in Südafrika haben sich die Zukunftsversprechen von damals nicht erfüllt. Deshalb beginne nun in gewisser Weise eine zweite Phase des Freiheitskampfes: «Ziel ist es, die Türen der Zukunft für alle jene wieder zu öffnen, die bisher unter die Räder gekommen sind.»
Künstler setzen auf lokale Initiativen
Grosse Protestbewegungen blühen zurzeit in mehreren afrikanischen Ländern auf. Sie machen Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Auch wenn unklar bleibt, wie sie konkret aussehen könnte. Ein Patentrezept scheint niemand zu haben. Künstler setzen deshalb eher auf überschaubarere, lokale Initiativen.
Etwa ein Kulturzentrum in der kongolesischen Provinz, das Jugendlichen vor Ort neue Perspektiven bietet. Oder neue digitale Technologien, die jungen Kenianern erstmals eine eigene Stimme verleihen. Oder eine Bibliothek in Südafrika, in der man statt Bücher Menschen ausborgt, die Geschichten erzählen, nach dem Konzept des «radical sharing», also des radikalen Teilens, mit dem die Künstlerin Thenjiwe Niki Nkosi experimentiert.
Zukunftsvisionen knüpfen an Traditionen an
Die Idee gehe auf unterschiedliche Einflüsse zurück, erklärt Nkosi: «Auf das Wissen, das mir meine Eltern vermittelt haben, auf afrikanische Traditionen und auf Überlebensstrategien. Das Konzept des Teilens ist uralt und futuristisch zugleich.»
Nkosi interessiert, wie Menschen in Zukunft miteinander umgehen und kooperieren können. Nicht nur um zu überleben, sondern um zu wachsen und zu gedeihen. Es ist auffällig, dass viele dieser Zukunftsvisionen an afrikanische Traditionen anknüpfen. Etwa an das Gemeinschaftsgefühl und dezentrale Ordnungen.
Aber sie sind deshalb längst nicht auf Afrika begrenzt. Kulturschaffende sehen ihren Kontinent zunehmend in einem globalen Kontext. Nicht als Opfer, sondern als Ideengeber. Der Co-Kurator des «African Futures»-Festivals, Ntone Edjabe, kommt zum Schluss: «Wir kennen die Zukunft Afrikas nicht. Aber wir wissen: Die Zukunft ist afrikanisch.»
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 4.11.2015, 17:45 Uhr