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Kirchengänger mit Kerzen vor der Katherdrale in Chur.
Legende: Im Rahmen der Pfarrei-Initiative haben die Initianten zu einem «Solidaritätstag» vor der Kathedrale in Chur aufgerufen. Keystone

Gesellschaft & Religion Gott mehr gehorchen als den Menschen

Knapp 500 Seelsorger und Seelsorgerinnen der römisch-katholischen Kirche haben die Pfarrei-Initiative unterschrieben. Darin stellen sie keine Forderungen an die Kirche, sondern machen nur öffentlich, was sie schon lange praktizieren – trotz Verbot. Die Reaktionen der Bischöfe sind unterschiedlich.

Die Pfarrei-Initiative ist keine politische Initiative, sie enthält auch keine konkreten Forderungen. Sie ist vielmehr ein Coming-out von Seelsorgern und Seelsorgerinnen, denn die befolgen nicht immer, was die römisch-katholische Kirche vorgibt. So laden sie Angehörige anderer Konfessionen oder wiederverheiratete Geschiedene zur Kommunion ein und in vielen Gemeinden halten ausgebildete Theologinnen und Theologen, sogenannte Laien, die Predigt.

«Gott mehr gehorchen als den Menschen»

Dieser «Ungehorsam» sei mittlerweile selbstverständlich im Pfarreialltag und habe sich bewährt, heisst es in der Initiative. So wollen die Unterzeichnenden mit dieser Praxis weiterfahren, jetzt aber nicht mehr im Versteckten. Es habe mit Ehrlichkeit zu tun und mit Redlichkeit, so die Initianten.  

Die Unterzeichnenden fühlen sich der Lehre Jesu verpflichtet. Sie schreiben: «Jesus habe sich mit allen Menschen solidarisch gezeigt, ohne Einschränkungen.» Deswegen gelte das Wort aus der Bibel und man müsse «Gott mehr gehorchen als den Menschen». Sie wollen nahe bei den Gläubigen sein und nahe an der Kirchenbasis. Es gehe nicht um ein neues Glaubensverständnis, sondern bloss um kirchenrechtliche Fragen.

Bischöfe wollen Verstösse nicht akzeptieren

Was als kleines Grüppchen begann, wurde schnell zu einer Bewegung von rund 500 Unterzeichnenden. Die Bischöfe waren gezwungen zu reagieren. Sie lehnen die Initiative grundsätzlich ab, denn die Bischofskonferenz vertritt die offizielle römisch-katholische Lehrmeinung. Verstösse dagegen wollen sie nicht akzeptieren. Diese würden die Einheit der Kirche gefährden, heisst es.

Die einzelnen Bischöfe gehen aber unterschiedlich auf die Unterzeichnenden in ihren Bistümern zu. Vitus Huonder, der Bischof des Bistums Chur, hat den Unterzeichnenden seines Bistums einen Brief geschickt. Er fragt sie darin nach den Beweggründen, wieso sie diese Initiative unterzeichnet haben und will wissen, ob sie die Initiative weiterhin unterstützen würden. Eine Antwort erwartete er bis zum 15. Januar.

Drohung oder Dialog?

Dieser Brief stiess den Unterzeichnenden aus dem Bistum Chur sauer auf. Es gab Gerüchte, dass den Unterzeichnenden die Missio canonica, der kirchliche Auftrag, entzogen werden könnte, was einer Entlassung gleichkäme. Der Sprecher des Bischofs dementierte zwar: Man warte ab, bis man alle Antworten erhalten habe – alles andere sei Spekulation. Jedoch könnten die Unterzeichnenden nicht davon ausgehen, dass Ungehorsam einfach ohne Konsequenzen bleibe.

Diese Worte wurden von den Unterzeichnenden als Drohung empfunden und nicht als echtes Dialogangebot. Aus Protest unternahmen sie eine Wallfahrt nach Chur, um ihr Anliegen kundzutun. Aus Solidarität kamen auch Gläubige, man betete und sang zusammen. Vitus Huonder war während dieser Protestveranstaltung nicht anwesend. Sein Stellvertreter Martin Grichting, der Generalvikar des Bistums Chur, nahm die Antwortbriefe der Seelsorgenden entgegen.

Schweizer Initianten stehen nicht alleine da

Der Bischof von Basel, Felix Gmür hat den Seelsorgenden in seinem Bistum auch Fragen gestellt. Ihn stört der Ton der Initiative, es werde einfach von Selbstverständlichkeiten gesprochen, davon könne aber keine Rede sein. Die Seelsorger und Seelsorgerinnen würden ihre Praxis und ihre Meinung einfach zum Massstab aller Dinge erheben.

Allerdings lädt er sie zu vier Dialognachmittagen ein - eine Aufforderung, die die Seelsorgenden ernst nehmen. Ähnlicher Meinung ist Markus Büchel, Bischof von St. Gallen und Präsident der Schweizer Bischofskonferernz. Er mahnte, dass die Tür zum Dialog offen gelassen werden soll.

Die Schweizer Initiantinnen und Initianten stehen mit ihren Anliegen nicht alleine da: Weltweit gibt es ähnliche Versuche. Ein Beispiel dafür ist die Pfarrer-Initiative in Österreich. Diese Auseinandersetzungen zeigen die unterschiedlichen Positionen in der römisch-katholischen Kirche. Auf der einen Seite steht die Kirchenbasis, die die Kirche von unten verändern will. Auf der andern Seite ist die Kirchenleitung, die an der Lehrmeinung festhält.

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