Es sieht aus wie eine ganz normale Familienszene: Vor dem Eingang zur Ausstellung steht ein bunt gedeckter Tisch, neben dem Kinderstuhl liegt ein Spielzeug. Doch dann fällt der Blick auf die Scherben eines Tellers und ein zerbrochenes Stuhlbein – und deutet an, dass dieses Abendessen nicht friedlich zu Ende ging.
Häusliche Gewalt geschieht in jeder fünften Familie und Paarbeziehung in der Schweiz; ein Drittel aller Kinder ist betroffen – entweder direkt, oder als Zeuge von Gewalt zwischen den Eltern. Deshalb rückt die Ausstellung den Tatort ins Zentrum: das Zuhause. «Wir wollten aufzeigen, dass wir von Gewalt sprechen, die sich im ganz nahen Umfeld der Menschen abspielt», sagt Sozialarbeiterin Sandra Fausch, die am Konzept der Ausstellung mitgearbeitet hat.
Geschämt, zum Arzt zu gehen
«Willkommen zu Hause» führt durch die Zimmer einer Wohnung, die durch verschiedene Stationen in zwei Ausstellungsräumen nachgestellt sind. Auf Möbeln und Alltagsgegenständen gibt es Botschaften zu entdecken: Im Badezimmer etwa finden sich im Medikamentenschrank Informationen über die Folgen von häuslicher Gewalt; auf dem Spiegel läuft ein Video über die Geschichte einer Betroffenen, und auf dem Bett im Schlafzimmer stehen die rechtlichen Grundlagen zur sexuellen Gewalt in der Ehe geschrieben.
Wer unter die Bettdecke schaut, findet dort Zeilen über die Gefühle von Gewaltausübenden und -opfern. Die Texte berühren – und zeigen, weshalb häusliche Gewalt dem Umfeld oft lange verborgen bleibt.
Betroffene erzählen – manchmal auch spontan
Oft hindert die Scham die Betroffenen am Sprechen. In einem Filmausschnitt sagt die heute 19-jährige Yasmin im Rückblick auf das Schweigen in ihrer Kindheit: «Ich dachte, die Schmerzen gehen dann schon weg; ich schämte mich, zum Arzt zu gehen und zu sagen, das hat mein Vater gemacht.»
Im Kinderzimmer der Ausstellung kommen in mehreren eindrücklichen Porträts junge Erwachsene zu Wort, die über den Umgang mit Gewalterfahrungen in ihrer Kindheit sprechen. Über das Verstecken blauer Flecken, über das Ausredensuchen, über die ständige Anspannung und die Angst, was wohl als Nächstes kommt. Dazu kommt bei vielen das Gefühl, mitschuldig an den Eskalationen zu sein. «Ich habe mich immer gefragt, was denn bei mir nicht stimmt», sagt Yasmin. «Alle anderen gingen nach der Schule gern nach Hause. Nur ich nicht.»
Dank solcher Stimmen gelingt es der Ausstellung, mit den Besucherinnen und Besuchern ins Gespräch zu kommen – diese Erfahrung hat Sandra Fausch in den letzten zwei Jahren öfters bei Führungen gemacht: «Es gibt immer wieder Leute, die von eigenen Erfahrungen mit häuslicher Gewalt erzählen – als direkt Betroffene oder als Nachbarn.» Besonders erstaunt hat es sie, dass auch schon Gewaltausübende das Gespräch gesucht haben: Meist Männer, die erkennen, dass sie ein Problem haben und Hilfe benötigen.
Mit Vorurteilen aufräumen
Obwohl 40 Prozent aller Gewaltstraftaten in der Schweiz im häuslichen Umfeld geschehen, wird darüber in der Öffentlichkeit noch immer kaum diskutiert. Ziel der Ausstellung ist es, Worte für das schwierige Thema zu finden. Sie möchte über Handlungsmöglichkeiten und Risikosituationen informieren, aber auch mit Vorurteilen aufräumen. «Häusliche Gewalt ist nicht nur Männergewalt an Frauen», sagt Sandra Fausch. Zwar würden Frauen weit häufiger Opfer von Gewalt als Männer. Doch den umgekehrten Fall gäbe es jedoch auch.
Ein weiteres Vorurteil besagt, dass vor allem Migrantinnen und Migranten von häuslicher Gewalt betroffen seien. Tatsächlich erhöhe ein Migrationshintergrund das Risiko für Gewalt, weil die Belastung der Familien oft sehr hoch sei, sagt Sandra Fausch. Dabei handle es sich jedoch nicht um ein kulturell bedingtes Problem. «Es ist einfach zu denken, häusliche Gewalt geschieht bei den anderen und nicht bei uns. Doch wir sprechen hier von einem gesellschaftlichen Problem, mit dem wir uns alle auseinandersetzen müssen.»