Im Herbst 2015 hatte AlphaGo den Europameister im Brettspiel Go Fan Hui geschlagen. Nun hat AlphaGo auch den besten Spieler der Welt, den Koreaner Lee Sedol, im ersten von fünf Spielen besiegt. Ein Durchbruch für die Künstliche Intelligenz?
Jürgen Schmidhuber: Die Methoden von AlphaGo, deren Kombination zum Sieg führte, sind recht alt. Es ist vor allem für die Presse ein sichtbares Ergebnis, aber nicht unbedingt ein wahrer Durchbruch für die Künstliche Intelligenz.
Wenn es kein Meilenstein ist – was bedeutet der Sieg der Maschine? Zumindest eine Gleichstellung von Mensch und Maschine?
Als der russische Schachweltmeister Garri Kasparow 1997 vom IBM-Rechner «Deep Blue» besiegt wurde, sprach man doch auch nicht von einer solchen Gleichstellung. Damals wie heute beherrschen Menschen gewisse Dinge immer noch viel besser als Maschinen – wie zum Beispiel Mustererkennung. Kinder konnten damals Gesichter oder Füllfederhalter noch viel besser erkennen als jeder Rechner. Erst seit ein paar Jahren erlernen die künstlichen, neuronalen Netze zumindest in manchen Bereichen übermenschlich gute Mustererkennung, welche schwieriger ist als Schachspielen.
Handelt es sich im Falle von Go um eine Mustererkennung?
Das ist mehr als eine reine Mustererkennung. Als Spieler muss man auf vorliegende Muster, also Brettstellungen, ja auch mit guten Zugfolgen reagieren können. Bei AlphaGo wurde das durch eine Kombination von Techniken erreicht: Erst hat man dem System beigebracht, gute Züge von Menschen zu imitieren. Dann lernte das System weiter, indem es viele Spiele gegen sich selbst ausführte. Schon 1994 gab es das verwandte System TD-Gammon, welches lernte, so gut zu spielen wie der damalige Backgammon-Champion, ohne dass es ihm je ein Lehrer beigebracht hatte. Eine recht ähnliche Technik wurde bei AlphaGo angewandt.
Würden Sie also eher von einer Perfektionierung sprechen?
Ja, denn die verwendeten Algorithmen sind von einer recht traditionellen Sorte. Es ist aber andererseits wirklich bemerkenswert, dass zum ersten Mal ein menschlicher Weltmeister bei «Go» geschlagen wurde. Das heisst aber natürlich nicht, dass Rechner im Allgemeinen klüger sind als Menschen. Schon vor vielen Jahrzehnten schlugen Taschenrechner Menschen, wenn es darum ging, Zahlen zu multiplizieren. Doch kaum einer behauptete damals, Menschen seien dümmer als Rechner.
«Go» gilt als ein besonderes kompliziertes Spiel – auch deswegen die Aufregung um den Sieg. Warum ist «Go» schwierig?
Es ist nicht kompliziert. Es gibt weisse und schwarze Steine und simple Regeln für erlaubte Züge. Es gibt zwar sehr viele mögliche Zugkombinationen – mehr als Atome im Universum. Aber das ist nicht nur bei «Go» so, sondern auch beim Schach und vielen anderen Spielen.
Gibt es denn noch Spiele, bei denen Maschinen keine Chance haben?
Ja, klar, beispielsweise Fussball, oder andere körperbetonte Spiele in der richtigen Welt. Roboter mit Kameras haben zur Zeit noch kaum eine Chance, wenn es darum geht, einströmende Videos aus nur teilweise beobachtbaren Umgebungen in komplexe Bewegungsabläufe umzusetzen – wenn da etwa ein Ball in den Strafraum fliegt, man hochspringen und ihn in der richtigen Millisekunde treffen und am Gegner vorbeizirkeln muss. Das ist viel schwieriger, als Schach oder Go zu spielen. Die Japaner rechnen deswegen erst im Jahre 2050 mit einer Robotermannschaft als Fussballweltmeister.
Selbst wenn der Sieg von AlphaGo in der Geschichte der Künstlichen Intelligenz keine wichtige Rolle spielen sollte: Jedes Mal, wenn eine Maschine einen Mensch besiegt, herrscht die Angst, dass der Mensch der Maschine langsam, aber sicher unterliegt. Ist diese Angst berechtigt?
Angst? Mir gefällt’s. Ich bestehe nicht darauf, Krone der Schöpfung zu bleiben. Das Universum will jetzt seinen nächsten Schritt tun hin zu höherer Komplexität. Meiner Ansicht nach ist es unausweichlich, dass – durch Systeme, die weit über AlphaGo hinausgehen – in den nächsten Jahrzehnten künstliche Intelligenzen in jeder Hinsicht viel schlauer werden als Menschen.
Im Turnier zwischen dem Go-Weltmeister und AlphaGo stehen noch vier Runden aus. Wer wird schlussendlich gewinnen? Und was würde der Schlusssieg bedeuten?
Gewinnt der menschliche Spieler mit knappem Vorsprung, dann ist das kaum nennenswerter als die Alternative, bei der er 5:0 verliert. Denn früher oder später wird der Mensch routinemässig verlieren. So wie er auch heute schon ständig gegen die besten Schachcomputer verliert.