Die Wohnung von Shlomo Graber, der 1926 in Ungarn geboren wurde, aber seit bald 30 Jahren mit seiner Frau in Basel lebt, gleicht einer Galerie. Neben-, über- und untereinander hängen Bilder. Es sind meist abstrakte und auffällig bunte Bilder, Bilder voller Lebensfreude. Diese Lebensfreude strahlt auch deren Maler, der 89-jährige Shlomo Graber, aus. Das überrascht angesichts des Lebens, das er hinter sich hat. «Man hat mich immer wieder gefragt, wie ich das eigentlich alles verarbeitet habe. Ich war schon drei Mal zum Tod verurteilt», sagt er.
Den Holocaust durchlebte Shlomo Graber während seiner Jugend: die erste Deportation erfolgte mit 15 Jahren; auf der Fahrt zur polnischen Grenze wurde die Familie wie durch ein Wunder befreit. Doch zwei Jahre später folgte die zweite Deportation, direkt ins Konzentrationslager Auschwitz. Dort sah er seine Mutter und die jüngeren Geschwister zum letzten Mal – ein prägender Moment in seinem Leben.
Nur noch 30 Kilo schwer
In seinem Buch schildert Sholmo Graber diesen Moment eindrücklich: «Die Menschenmassen drängten mich aus dem Wagon, aber Mutter hielt mich immer noch fest umarmt, küsste mich hastig auf die Stirn und sagte: Sei stark, mein Junge, und lass keinen Hass in dein Herz. Liebe ist stärker als Hass, mein Sohn. Vergiss das nie.»
Dass dies die letzten Worte seiner Mutter waren, wusste Shlomo Graber damals noch nicht – die Mutter, Schwestern und Brüder wurden direkt in die Gaskammer getrieben.
Von Auschwitz aus folgte die nächste Deportation: nach Görlitz. Zusammen mit seinem Vater war er dabei beim berüchtigten Todesmarsch, als das Konzentrationslager evakuiert wurde – und überlebte nur knapp. Bei ihrer Befreiung im Mai 1945 wogen Vater und Sohn kaum noch 30 Kilo.
Schreiben half beim Verarbeiten
70 Jahre sind seither vergangen – Jahre, in denen Shlomo Graber ins Leben zurückfand. In ein glückliches Leben, wie er heute sagt. Wie war das möglich? «Schwer zu sagen», sagt Graber, «ich bin sehr beschäftigt mit Schreiben und Malen. Und ich suche mir immer Zeiten von Freuden.»
Über das Tragische zu klagen, das bringe nichts, sagt er. Über das Tragische zu schreiben hingegen sei wichtig. Das Schreiben habe ihm geholfen, das Erlebte zu verarbeiten – auch wenn dies nicht immer einfach gewesen sei: «Wenn ich schrieb, hat mich das so belastet, dass ich immer nur eine halbe Stunde schreiben konnte.» Danach war er jeweils erschöpft, die Erinnerungen wogen zu schwer. Später wurde aus dem Schreiben auch ein Reden.
Treffen mit Bundespräsident Gauck
Noch heute tritt Shlomo Graber oft auf und spricht über sein Leben, bei offiziellen Anlässen, immer wieder auch an Schulen. Das sei seine Pflicht – als einer der letzten Überlebenden des Konzentrationslagers von Görlitz.
Shlomo Graber macht weiter, bis er nicht mehr kann. Dass er immer wieder eingeladen wird und dass ihm viele Menschen gerade auch in Deutschland zuhören wollen, das sei eine grosse Genugtuung für ihn. Die grösste Genugtuung aber, die hat er noch vor sich. Anfang Juli trifft er sich zu einem persönlichen Essen mit dem Deutschen Bundespräsidenten Joachim Gauck – auf dessen persönliche Einladung hin.