Ein Wohnwagen, ein Auto, ein Zelt, eine Telefonzelle: Sie alle bieten den kompakten Raum, der für eine Sauna nötig ist. Und sie alle werden von den Finnen auch mal zu einem Schwitzkasten umfunktioniert, wenn gerade keine richtige Sauna in der Nähe ist. So kann man es im Dokumentarfilm «Steam of Life» erleben.
Dieses Improvisationstalent macht deutlich, dass in Finnland die Sauna unbedingt zum Alltag gehört. Sogar in Einzimmerwohnungen wird sie heute eingebaut. In Zahlen ausgedrückt: Eine Sauna pro zwei Einwohner, Babys und Kranke mitgerechnet. In der ungefähr 100 Grad heissen Kabine gönnt man sich nicht wie bei uns hin und wieder etwas Wellness. Und statt wie hierzulande schweigend und in sich gekehrt zu entspannen, ist im kalten Norden die Sauna ein Ort der Begegnung. Man besucht sie mit seinen Arbeitskollegen oder seinem Chef. Man spricht, isst, trinkt und feiert sogar Feste. Besonders für die Männer gehört das Bier in der Hand – oder auch etwas Hochprozentiges – dazu.
Freunde unter sich
Schon lange ist die Sauna aus der finnischen Kultur nicht mehr wegzudenken. Menschen der älteren Generation kamen in einer Sauna zur Welt. Ebenso hauchte man hier am Lebensende seinen letzten Atem aus. Die Historikerin Anna Locher hat sich mit der finnischen Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert auseinandergesetzt. Sie sagt: «Die Sauna hat viel mit Reinigung auch im übertragenen Sinn zu tun. Man kann vor sich selber in der Sauna nicht ausweichen, auch ein Pokerface aufzusetzen funktioniert nicht.»
Das zeigt in eindrücklicher Weise auch der Film «Steam of Life», der finnische Männer in die Sauna begleitet. Der Regisseur Joonas Berghäll berichtet, die Idee dazu sei ihm in einer öffentlichen Sauna gekommen. Er habe gemerkt, dass dies der Ort sei, wo die Finnen mit ihrem besten Freund allein seien und offen über ihre Gefühle redeten.
Gnadenlos ehrlich
Tatsächlich sieht man im Film, wie der Dampf der Aufgüsse nicht nur die Poren, sondern auch die Herzen der finnischen Männer öffnet. Nicht nur die Körper, sondern auch die Seelen liegen nach weniger Zeit nackt ausgebreitet auf dem blanken Holz. Die harten Kerle beginnen zu sinnieren und erzählen vom Tod ihrer Mutter, ihrer Frau, ihrer kleinen Tochter. Einer denkt zurück an seinen gewalttätigen Stiefvater. Ein anderer erzählt, dass er seine Kinder seit der Scheidung kein einziges Mal sehen durfte.
Dabei sagen die Männer Dinge wie: «Ich hätte mich beim Tod meiner Mutter wie immer verhärten können und mir vormachen, dass ich nichts fühle. Aber jetzt, wo ich diese Gefühle zulasse, ertrage ich sie leichter.» Oder: «Früher dachte ich immer, dass ich alles mit mir selbst ausmachen kann und keine Hilfe brauche. Aber ich will Dinge teilen. Zu wissen, dass ich nicht allein bin, ist eine wahnsinnige Erleichterung.»
Während sie das sagen, rinnen ihnen neben Schweisstropfen auch Tränen über das Gesicht. Ihre Schicksale sind verschieden, aber eines eint sie: dass ihr Geschlecht immer noch als hart und tapfer zu gelten hat. Dass ein Mann nur diese eine Option habe: «Ruhig sein und trinken», wie es einer formuliert. Im Film wechseln sich solch bedrückende Einsichten ab mit berückenden Ansichten von finnischen Landschaften. Ebenso gibt es heitere Wendungen und Skurriles. Zum Beispiel erzählt einer von seinem besten Freund, der sich dann als Bär herausstellt.
Sauna-Diplomatie
Die aufweichende Hitze verfehlt auch in der finnischen Politik ihre Wirkung nicht. Sie kocht die stursten Staatsführer weich und lässt Differenzen dahinschmelzen. Gemäss der Historikerin Anna Locher werden die finnischen Diplomaten seit langem darin unterrichtet, Streitigkeiten in der Sauna beizulegen. Sie zitiert Pertti Torstila, den Staatssekretär im Aussenministerium: «Es gibt keine Supermächte oder Kleinstaaten in der Sauna, keine Vorgesetzten oder Diener. Man hat nichts in der Hinterhand, wenn man keine Ärmel trägt. Wenn man etwas bespricht und sich einigt, während alle nackt sind, ist es später schwierig, sein Wort nicht zu halten.»
Insbesondere der finnische Präsident Urho Kekkonen sei während des Kalten Kriegs geradezu zum Meister der Saunadiplomatie geworden. Locher beschreibt den Ablauf von Kekkonens Sessionen gemäss Protokoll so: 16.55 Uhr Eintreffen der Gäste, 17 Uhr Sauna, 18 Uhr Abendessen, um 23 Uhr erneut Sauna, nicht selten bis 5 Uhr früh. Kekkonen lag auch mit Sowjetmachthabern wie Nikita Chruschtschow im Dampf. Bei diesen Sauna-Sessionen mit den zwar trinkfesten, aber offenbar nicht so hitzebeständigen Sowjets soll er wichtige Schritte für die Unabhängigkeit und die Wirtschaft Finnlands erschwitzt haben.
Männlein und Weiblein getrennt
Gemäss Anna Locher ermuntert man in Finnland auch heute noch die Entscheidungsträger aus aller Welt zum Saunagang. Beispielsweise vor drei Jahren den damaligen russischen Präsident Dmitrij Medwedew oder vor zwei Jahren den UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon. Mit einem Unterschied gegenüber den Zeiten des Kalten Kriegs: Die Staatspräsidentin Tarja Halonen, die die hohen Tiere empfangen hatte, schwitzte nicht mit. Denn die Sauna wird in Finnland ausserhalb der Familie geschlechtergetrennt besucht. Heute sind 40 Prozent aller finnischen Abgeordneten und die Hälfte der Regierungsmitglieder Frauen. Es wird also Zeit, dass sich die Finnen eine neue Saunastrategie überlegen.