Das Gedankenspiel mit dem Geiger stammt von der US-amerikanischen Philosophin Judith Jarvis Thomson. Das Thema ist Abtreibung, genauer die Frage: Darf man eine ungewollte Schwangerschaft abbrechen?
Ungewollte Schwangerschaften sind keine Seltenheit, denken Sie nur an das Versagen von Verhütungsmitteln oder an Vergewaltigungen. Thomsons Gedankenexperiment bezieht sich – das ist wichtig – nur auf solche Fälle von ungewollter Schwangerschaft.
Verbunden auf Leben und Tod
Stellen Sie sich vor, ein weltberühmter Geiger leidet an einer Nierenkrankheit und Sie sind aufgrund Ihrer Blutgruppe die einzige Person, die ihn retten kann. Das wissen auch die Fans des Geigers, welche Sie betäubt und ihren Blutkreislauf mit dem des Geigers verbunden haben. Würden Sie sich von den Schläuchen lösen, wäre das sein Tod. Sie müssen neun Monate mit ihm ausharren, damit er nicht stirbt.
Gemäss dieser Analogie entspricht der Geiger dem ungewollten Kind im Bauch und Sie sind die schwangere Frau. Neun Monate lang kann der Geiger nicht ohne Sie überleben, ebenso wie das im Bauch heranwachsende Kind.
Freiheit oder Leben?
Meist wird im Rahmen der Abtreibungsdebatte darüber diskutiert, ob und ab wann Embryonen ein Lebensrecht haben. Dabei wird gerne unterstellt, dass der Schwangerschaftsabbruch ethisch unzulässig ist, falls das Ungeborene bereits ein Lebensrecht besitzt.
Thomson möchte zeigen, dass dies alles andere als klar ist. Der Geiger ist nämlich ein erwachsener Mensch, der definitiv ein Lebensrecht hat – auch wenn sein Überleben von Ihnen abhängt. Doch dieses Lebensrecht des Geigers kollidiert mit Ihrem Recht auf Selbstbestimmung. Die Frage ist nun: Welches Recht ist stärker zu gewichten?
Schwangerschaftsabbruch als Notwehr
Thomson ist der Ansicht, die Musikfreunde haben auf drastische Weise in Ihr Leben, Ihre Freiheit und Ihre körperliche Unversehrtheit eingegriffen. Das geht nicht, meint sie. Jeder habe das Recht, sich von dem Geiger loszukoppeln. Das entspreche einer Notwehr. Und dazu habe man immer das Recht.
Stimmt das? Würden Sie sagen, man dürfe den Geiger auf keinen Fall von Ihrem Blutkreislauf trennen? Wenn ja, was würden Sie sagen, wenn er nicht neun Monate, sondern neun Jahre an ihnen hängen würde? Wie würden Sie die Sache beurteilen, wenn Ihre Gesundheit und Ihr Leben dadurch bedroht wären und Sie nur überleben könnten, wenn der Geiger von Ihnen abgekoppelt wird?
Zwischen Töten und Sterbenlassen
Mit dieser Variante fordert Thomson diejenigen Abtreibungsgegner heraus, die finden, man dürfe auf keinen Fall abtreiben, auch nicht bei Schwangerschaften, die für die Mutter tödlich verlaufen. Das heranwachsende Kind aktiv zu töten, sei moralisch verwerflicher, als die Mutter sterben zu lassen. Schliesslich gelte das Tötungsverbot. Doch ist aktives Töten in jedem Fall schlimmer als passives Sterbenlassen? Wie sehen Sie das?
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