An der SRF-Dokufiction-Reihe «Die Schweizer» wurde kritisiert, dass sie sich zu sehr auf einzelne Personen konzentriert. In der zweiten Folge stehen nun immerhin zwei Figuren im Zentrum: Der Zürcher Politiker und Feldherr Hans Waldmann sowie der Eremit Niklaus von der Flüe. Der Kontrast zwischen diesen beiden sehr unterschiedlichen Figuren wird der Komplexität der historischen Begebenheiten besser gerecht, sagt der Historiker Lucas Burkart von der Universität Basel.
Die grossen Kontraste in der alten Eidgenossenschaft
«Durch die beiden Figuren wird ein Spektrum aufgemacht, das die Heterogenität dieser alten Eidgenossenschaft deutlich macht», sagt Burkart. So zeigen die beiden unterschiedlichen Lebensläufe beispielsweise den grossen Kontrast zwischen der städtischen und der ländlichen Bevölkerung dieser Zeit. Ausserdem betone der Film durch diese Figurenwahl die grosse Bedeutung der Religion für spätmittelalterliche Gesellschaften.
Kritischer beurteilt Burkart die These, dass die Ereignisse um Waldmann und von der Flüe den Kern der Schweizer Neutralität bilden würden: «Es ist auf alle Fälle nicht ganz falsch, aber es ist auch eine problematische Formulierung», sagt der Historiker.
Zwischen dem Stanser Verkommnis 1481 und der bewaffneten Neutralität des modernen Schweizer Bundesstaates gebe es keine direkte Verbindung, der Weg zur modernen Neutralität sei sehr viel verschlungener und komplexer.
Konstruierte Darstellung der Schweiz
Auch sonst macht Burkart in der zweiten Folge von «Die Schweizer» einige Darstellungsprobleme aus. So vermittle der Film das Bild einer nach innen geschlossenen Schweiz mit einem klar umrissenen Aussen. Diese Darstellung der Schweiz als Kern einer späteren, nationalstaatlichen Einheit sei konstruiert. Auch habe man im 15. Jahrhundert die Akteure ausserhalb der Eidgenossenschaft nicht als grossraumpolitische Gesamtheit wahrgenommen, sondern vielmehr als vielfältiges Beziehungsgeflecht verschiedener Akteure.
Diese Sichtweise gleiche dem Geschichtsbild des 19. Jahrhunderts: Der Fokus liegt auf zentralen politischen und verfassungsgeschichtlichen Ereignissen. Dadurch würden andere Perspektiven ausgelassen, sagt Burkart: Sozial- oder wirtschaftsgeschichtliche Sichtweisen, aber auch eine Geschlechterperspektive würden so ausgeblendet. Dass unser heutiges Geschichtsbild stark geprägt sei von Bildern historischer Darstellungen aus dem 19. Jahrhundert, werde im Film nicht reflektiert.
Debatte über Fachkreise hinaus
Dennoch hält Burkart «Die Schweizer» für einen begrüssenswerten Beitrag zur Auseinandersetzung mit der Schweizer Geschichte: «Positiv ist ganz bestimmt die Tatsache der Produktion, weil sie der Geschichtswissenschaft ein Plattform bietet für eine über den fachinternen Diskurs hinausreichende Debatte.» Das daraus resultierende gesellschaftliche Interesse an Geschichte und die Kontroversen begrüsse er als Historiker, sagt Burkart.