Es war ein Satz in einem Interview, der alles veränderte. Füsun Demirel antwortete der türkischen Zeitung «Cumhuriyet» auf die Frage, welche Rolle sie gern noch spielen wolle, mit den Worten: die Mutter einer Guerillakämpferin.
Es war wahrscheinlich eine dieser Standartfragen, die Journalisten stellen wenn ihnen nichts mehr einfällt. Irgendwo in der Schlagzeile des Interviews, dieser eher links orientierten Zeitung, kam dann das Wort Guerilla vor, ein Wort, auf das die herrschende konservative Partei AKP allergisch reagiert.
Schon ist es zu spät
Zwei Stunden nach der Publikation des Interviews, meldete sich die Zeitung bei ihr und warnte sie vor heftigen Reaktionen im Netz. Doch es war schon zu spät. Auf den Kanälen der sozialen Medien brach ein «Shitstorm» los. In einer regelrechten Hetzkampagne wurde sie als PKK Sympathisantin diffamiert, als Terroristen gebrandmarkt und mit Todesdrohungen eingedeckt.
Viele Zeitungen berichteten auf der Front über die fehlgeleitete Ideologie der berühmten Schauspielerin. Eine mögliche Rolle als Schauspielerin, wurde als Angriff auf die herrschende Partei ausgelegt und schon war sie Persona non Grata, so heikel ist die Situation in der Türkei.
Zuhause eingeschlossen
Drei Tage lang ging Füsun Demirel nicht aus dem Haus, zog die Vorhänge und liess ihre Kinder nicht zur Schule gehen. Am Fernsehen musste sie zusehen, wie auf einem staatsnahen Sender über sie hergezogen wird. Ihr Leben brach auseinander. Das war Mitte März.
Ein Treffen im Theater
Sieben Monate später treffen wir Füsun Demirel in einem kleinen Theater mitten in Istanbul. Im Erdgeschoss werden Teppiche und Touristikartikel verkauft, im achten Stock teilt sich das kleine Off- Theater die Räume mit anderen Büros.
Füsun Demirel kommt zu spät, mit rotem Schal, eher klein – und doch ist sie eine imposante Figur. Sie probt momentan für ein Stück von Dario Fo, dass sie selber umgeschrieben hat. Mit Fo und seiner Frau Franca Rame verband sie eine Freundschaft, weil sie viele ihrer Stücke ins Türkische übersetzt hat.
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Von Kinoplakaten entfernt
Füsun Demirel erzählt von der schwierigen Zeit der letzten Monate, von AKP-Anhängern, die das Netz nach regierungskritischen Aussagen durchstöbern, um gezielt Kampagnen gegen bekannte Persönlichkeiten loszutreten. Man nennt sie AK-Trolls. Die AKP-treuen Zeitungen übernehmen die Netz-Kampagnen und fordern dann Konsequenzen.
Der mediale und politische Druck wurde bei Demirel so gross, dass der Fernsehsender «atv» ihre Rolle in einer Fernsehserie rausstreicht und die Schauspielerin entlässt. An den grossen Theaterbühnen, wo sie jahrelang aufgetreten war, werden ihr keine Rollen mehr angeboten, da sie staatlich finanziert sind.
Bei Kinofilmen, die sie noch letztes Jahr gedreht hat, wird sie von den Plakaten gestrichen, aus Angst vor Zensur. Niemand will sich an der in Ungnade gefallenen Schauspielerin die Finger verbrennen. Manchmal so sagt sie, traue sie sich nicht einmal mehr an die Premieren ihrer Filme, um der Crew nicht zu schaden.
Wie lange geht das gut?
An Füsun Demirel wurde öffentlich ein Exempel statuiert und in Zeiten des Ausnahmezustandes wehrt sich niemand dagegen. Fast niemand. Denn Demirel tritt noch immer auf in kleinen, vom Staat unabhängigen Theatern. So spielte sie einen Tag nach unserem Treffen in Ankara das Stück von Dario Fo. Der Saal ist voll, es wird viel gelacht, als ob es die selbstverständlichste Sache der Welt ist, dass sie auf der Bühne steht.
Doch wie lange kann die Mutter zweier Kinder vom unabhängigen Theater leben? Noch wird sie von ihren Freunden unterstützt.
Sie liebe ihr Land, sagt sie und wenn sie gehen würde, dann nur wegen ihrer Kinder. Doch sie sei noch da, weil wenn sie gehen würde, gingen auch andere. Und was würde dann aus ihrem Land?