SRF: Mr. Stevens, was ist britischer Humor?
Guy Stevens: Was für eine schwierige Frage. Das ist eine tragische Sache in mancherlei Hinsicht. Ich würde sagen, es hat etwas mit Haltung zu tun, mit dem Wissen: Niemand wird von Spott verschont, denn wir sind alle nur Menschen. Egal, wie schlimm eine Situation: Das Beste ist zu versuchen, die lustige Seite zu sehen. Sonst stehst Du es vielleicht nicht durch. Es ist ein Ventil. Damals, bei den öffentlichen Hinrichtungen, beim heutigen Marble Arch, haben einige Verurteilte eine lustige Rede gehalten, bevor sie gehängt wurden. Galgenhumor.
Können Sie versuchen, diese Antwort auf Deutsch zu geben (bis jetzt sprechen wir Englisch)?
Auf Deutsch (flucht und lacht abwechslungsweise)? Der britische Humor ist – mir kommen die Worte nicht in den Sinn – wenn there ist gross Angst, the Änglisch muss lachen. Das ist «the änglisch humour». Wenn the Bombe kommt, du musst lachen. Before you die. When it is too late to laugh. Wenn ich sprech Switzerdütsch mit jemand, der sagt: Oh, du bischt Änglisch, wir sprechen Änglisch jetz. That’s the problem.
(Wir führen das Interview wieder auf Englisch weiter)
Hat also der britische Humor viel mit dem Thema Angst zu tun?
Klar. Humor im Allgemeinen. Im Körper passiert genau das Gleiche, wenn man lacht oder weint. Man atmet auf dieselbe Weise. Weinen und Lachen sind eng miteinander verbunden. Angst ist deshalb eine gute Inspirationsquelle für Comedy. Alle kennen Angst. Also nimmt man ein Thema, das den Leuten Angst macht, und bastelt daraus einen Witz.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Ja, ich denke gerade an die Theorie, woher der allererste Witz kommt. Prähistorisch. Die Geschichte geht so: In einer Zeit, als die Menschen noch nicht miteinander gesprochen haben, gehen ein paar durch den Dschungel. Jemand tritt auf etwas und schreit, weil er glaubt, es sei das Tier, nach dem sie jagen. Aber es ist bloss ein Zweig. Dann muss er lachen, denn das ist das Ventil für seine Angst. Und die anderen lachen über ihn, weil er ein Dummkopf war. Eine interessante Theorie.
Briten haben dafür keine Angst, Witze über die Queen oder Prince Charles zu machen. Ein Schweizer würde einen Bundesrat doch nie öffentlich als «kleinen Schleimer» bezeichnen. Spike Milligan hingegen, der Vater der modernen britischen Komödie, hat bei der Ehrung für sein Lebenswerkt den Prince of Wales so genannt. Ein Schweizer würde wohl auch kaum die Gäste einer Beerdigung zum Lachen bringen wollen, wie das John Cleese bei der Abdankung seines Freundes und Kollegen Graham Chapman 1989 tat. Warum wird das in Ihrer Heimat goutiert?
In Grossbritannien gibt es diesbezüglich mehr Freiheit. Lachen verbindet. Die Queen springt bei den Olympischen Spielen mit einem Fallschirm in die Arena – klar, das war ein Double, aber dass sie überhaupt eingewilligt hatte, zeigt doch schon, dass sie Humor hat. Und auch Prince Charles versteht, wie jeder andere auch, dass der «Narr» so was darf. In diesem Fall Spike Milligan. Solchen Humor kriege ich in der Schweiz höchstens mit, wenn gute Freunde unter sich sind. Öffentlich gibt es das nicht. Wobei, vielleicht kommt die Basler Fasnacht dem sehr nahe, oder die Dadaisten in Zürich. Aber das ist 100 Jahre her. In Grossbritannien kommt man mit einem Witz immer durch.
Gibt es also auf der Insel keine Tabus?
Eigentlich darf es keine Tabus geben. Doch heutzutage scheint das auch in Grossbritannien zuzunehmen, unter anderem aus religiösen Gründen. Das finde ich sehr besorgniserregend. Wir leben heute sowieso in einer äusserst seriösen Welt. Zu seriös.
Können Sie über das Thema Brexit lachen?
Das ist total wahnsinnig. Das ganze Referendum ist Irrsin – very British! (zuckt mit den Schultern und nimmt zur Beruhigung einen Schluck Tee).