Die Sonne durchflutet das geräumige Esszimmer im Hause Moser. Monika Moser reicht Hörnliauflauf mit Fleischkäsestückchen und Gurkensalat. Davide und Kesang langen kräftig zu. Urs Moser fragt nach dem Schulmorgen. Die beiden Jungen erzählen dies und verschweigen das. Eine gewöhnliche Alltagsszene in einer gewöhnlichen Familie. Nur: «Moni» und «Papilou» sind keine echten Eltern, wie der achtjährige Kesang erklärt.
Und Davide weiss, dass seine Eltern massive Drogenprobleme hatten und deswegen nicht in der Lage waren, ausreichend für ihn zu sorgen. Der 13jährige spricht auch offen darüber, dass sein Vater deswegen einmal im Gefängnis sass. Nun will Davide unbedingt italienisch lernen. Sein Vater ist Italiener und Davide auf Identitätssuche.
Ein enormer Dienst
Kesang und Davide haben einen holprigen Lebensstart hinter sich. Nun sind sie seit Jahren bei ihren Pflegeeltern Monika und Urs Moser an einem sicheren Ort. «Es ist faszinierend zu sehen, wie viele der Kinder, die von ihren leiblichen Eltern vernachlässigt wurden, später doch ihren Weg machen», sagt Klaus Wolf. Er muss es wissen. In seinen ersten Berufsjahren hat er ein Kinderheim geleitet, heute gilt der Professor für Sozialpädagogik als bedeutendster Experte für Pflegeverhältnisse.
Wolf weiss, dass Liebe allein schon viel ist. Aber er weiss auch, dass es mehr braucht: «Pflegeeltern leisten unserer Gesellschaft einen enormen Dienst. Sie brauchen deswegen neben einer ordentlichen Entschädigung leistungsfähige Pflegedienst-Organisationen.»
In der Schweiz gibt es zahlreiche regionale Organisationen. Sie schulen und beraten die Pflegeltern, führen Verhandlungen mit den Behörden und sind da, wenn es kriselt. Auf nationaler Ebene leistet die «Pflegekinder Aktion Schweiz» politische und wissenschaftliche Arbeit.
Hoffnungserweckende Zahlen
In der Schweiz leben schätzungsweise 15’000 Kinder bei Pflegeeltern. Yvonne Gassmann von der «Pflegekinder Aktion Schweiz» weiss, dass rund die Hälfte der Pflegekinder bei Verwandten unterkommen. Die Expertin hat auch erforscht, dass der Alltag bei den Zweiteltern in 9 von 10 Fällen problemlos verläuft. Der Sozialpädagoge Wolf ist also nicht allein mit seiner optimistischen Bilanz. Sie ist das Verdienst der Fachstellen, der Alltagsarbeit belastbarer Ersatzeltern und die Frucht gesetzlicher Grundlagen.
Wichtige Gesetze
Der Dreh- und Angelpunkt in der Kinder- und Jugendhilfe ist das Kindeswohl. Seit 1997 ist klarer, was das heisst. Damals hat die Schweiz nämlich die Kinderrechtskonvention der Uno ratifiziert. In diesem bedeutsamen und verbindlichen Regelwerk ist unter Artikel 9 das kindliche Recht auf Familie, elterliche Fürsorge und ein sicheres Zuhause verbrieft.
Seit Anfang 2013 ist das Kinder- und Erwachsenenschutzrecht in Kraft. Damit ist nun keine Laienvormundschaft mehr möglich, also keine «Vetterliwirtschaft» mehr, wie Kesang und Davides Pflegemutter es ausdrückt. «Die Professionalisierung ist wichtig», meint Monika Moser und ist froh, dass die kindliche Mitsprache so noch einmal gesetzlich verankert ist: «Es darf einfach nicht mehr über die Köpfe der Kinder hinweg entschieden werden, was mit ihnen geschieht.» Sagt’s und wird von Kesang bestürmt, nun «bitte, bitte, bitte» endlich etwas aus der Süssigkeitenschublade fischen zu dürfen.