Mit Ihren Cartoons dokumentieren Sie politische Ereignisse. Wie erleben Sie die britischen Unterhaus-Wahlen?
Martin Rowson: Die Leute haben das Gefühl, die Wahlen machen mir so viel Spass – aber nein, ich finde sie nur langweilig. Die Kampagnen begannen im Januar und sind unglaublich inszeniert. Es ist so, als würde ich meinen Kindern beim Computerspielen zuschauen: langweilig. Ich glaube, David Camerons Herz ist nicht mehr dabei. Er hat aufgegeben, möchte etwas anderes tun.
Wie ist die momentane Stimmung in Grossbritannien?
Es gehört zu meinem Job, die Atmosphäre um mich herum zu interpretieren – aber ich spüre fast nichts. Die nationale Stimmung ist gelangweilte Wut. Die Leute sind wütend darüber, was die Politiker tun, und gelangweilt davon, wie sie es tun. Irgendetwas wird bei den Wahlen passieren.
Ich glaube fest an den Willen der Leute. Daran, dass die Briten die Stimmung der Nation wirkungsvoll äussern. Die Erfolgswellen der UKIP (UK Independent Party) und der SNP (Scottish National Party) – wenn man sie als solche bezeichnen will – sind beide Anti-Westminster. Die Leute haben es satt, wie im britischen Parlament gearbeitet wird.
Welches Wahlresultat wünschen Sie sich insgeheim?
Meine persönliche Meinung unterscheidet sich natürlich von der als Cartoonist. Als Cartoonist muss ich zu allen gleichermassen grausam sein. Gerade arbeitete ich an einem Cartoon mit Ed Miliband und David Cameron. Darin bekommen beide ihr Fett weg (siehe Bildergalerie, dritter Cartoon). Aber als Wähler möchte ich, dass Miliband gewinnt. Ich glaube, er wäre ein wirklich guter Premierminister.
Welche Beziehungen entwickeln Sie zu den Figuren, die Sie zeichnen?
Es ist schon komisch. Ich liebe es, David Cameron zu zeichnen, aber ich möchte nicht, dass er mein Land regiert. Ich hatte fünf Jahre mit ihm, das reicht. Ed Miliband bereitete mir lange Probleme. Ich wusste nicht, wie ich ihn zeichnen sollte. Alle sagten, er sei dieser lächerliche Nerd, ein kompletter Versager. Das hab ich nie geglaubt. Ich dachte immer, dieser Mann hat eine eiserne Entschlossenheit. Jetzt habe ich ihn als Figur geknackt. Auf eine komische Art bin ich ein Fingerpuppenspieler. Meine Hand steckt tief in seiner Seele.
Je nach Wahlergebnis kommen bald neue Figuren dazu. Arbeiten Sie bereits daran?
Es ist nie gut, zu weit vorauszudenken. Jedoch habe ich Nicola Sturgeon, die Parteichefin der SNP, schon ein paar Mal gezeichnet. Und meine Darstellung funktioniert. Das weiss ich, weil mir viele SNP-Wähler aus Schottland Rassismus vorwerfen. Bei so einer Reaktion, weiss ich: ich bin auf dem richtigen Weg.
Sie sind bekannt für Ihren vulgären Stil. Manche Leser bezeichnen Ihre Cartoons als boshaft und hässlich.
Blödsinn! Meine Cartoons sind allerliebst, wunderschön.
Macht es Spass diesen schmalen Grat der Akzeptanz zu gehen?
Absolut! Ich lote die Grenzen so weit aus wie es geht. Warum auch nicht? Das ist Teil des Vergnügens. Es besteht natürlich ein Unterschied zwischen dem öffentlichen und privaten Diskurs. Leute werfen einander im Privaten schreckliche Dinge an den Kopf. Wenn es in der Öffentlichkeit passiert, ist es vollkommen anders. Satire schwankt auf der Chinesischen Mauer zwischen dem Privaten und der Öffentlichkeit. Man muss vorsichtig sein, die Grenze nicht zu überschreiten.
Haben Sie die Grenze schon überschritten?
Ja, das habe ich. Aufgrund eines Missverständnisses oder durch meine eigene Fahrlässigkeit, ist es mir schon passiert, dass ich die falschen Leute beleidigt habe. Jedoch kann man bei jedem Cartoon einen Konflikt finden. Das Ärgernis liegt im Auge des Betrachters.
Wie reagieren Politiker auf Ihre Cartoons?
Sie lieben und fürchten es von mir gezeichnet zu werden. Meine Cartoons sind keine Manifeste, keine Aufrufe für Tumulte. Sie sind nur da, um Leute zum Lachen zu bringen – und um sie wütend zu machen, sie zum Denken anzuregen. Dieses Spiel funktioniert, weil ein Gleichgewicht besteht: Die Herrschenden bestimmen über unser Leben. Wir dürfen dafür über sie lachen. Das ist nur fair.
Wieso ist Humor ausgerechnet in Grossbritannien eine so grosse Sache?
Das ist eine gute Frage. Ich glaube, es ist Teil unseres britischen Exzeptionalismus. Wir denken, wir sind unglaublich lustig, dass niemand anderes lustig ist. Was natürlich überhaupt nicht stimmt. Humor ist eine universelle Qualität. Vielleicht ist Humor auch das einzige, was wir haben.
Wir haben unsere Energieversorgungsunternehmen an die Franzosen verkauft, die Eisenbahnen an die Deutschen und unsere Banksysteme an die Amerikaner. Das einzige was bleibt, ist unser Sinn für Humor. Würden wir nicht lachen, würden wir alle verrückt werden.
Sendung: SRF 4 News, Echo der Zeit, 28.4.2015, 18:00 Uhr