Der grosse Steinquader liegt nicht zufällig auf der Strasse. Er verhindert, dass Bauern von ihrem Haus zu ihrem Olivenhain gelangen können. Manchmal ist es auch ein Erdwall, ein Elektrozaun oder eine Betonmauer. Ein Checkpoint vor Ramallah heisst, dass wir von israelischem Gebiet auf Gebiet fahren, das von der palästinensischen Autorität kontrolliert wird. Wenn gleich dahinter noch ein Checkpoint kommt, heisst das, dass das palästinensisch kontrollierte Gebiet wieder zu Ende ist, obwohl wir nach wie vor in Palästina sind.
So gross wie der Kanton Bern
Wir fahren mit Helga Baumgarten durchs Westjordanland. In ihrer Doktorarbeit hat sie sich mit der palästinensischen Nationalbewegung beschäftigt. Seit 20 Jahren unterrichtet sie an der Universität Birzeit, der ältesten Universität Palästinas.
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Das Westjordanland – ein Flecken Land, der grössenmässig etwa dem Kanton Bern entspricht – ist durchsetzt mit unzähligen israelischen Siedlungen und Hunderten von Checkpoints, Erdwällen und Strassensperren. Sie verhindern den Zugang der Palästinenser zu ihren Feldern, Olivenbäumen und jenen Dörfern, die auf der «falschen» Seite der Mauer liegen. So ist zum Beispiel das gesamte Jordantal militärisch besetzt. Ebenso dürfen die Palästinenser das Tote Meer nicht touristisch nutzen, obwohl ihnen laut internationaler Lesart rund 20 Kilometer Küste zustehen würden.
Checkpoints als unüberwindbare Hindernisse
Die Autorität der palästinensischen Autonomiebehörde beschränkt sich einzig auf die Zone A, das sind Ramallah, Bethlehem, Nablus, Jericho und ein paar kleinere Städte. Sobald man jedoch diese «Inseln» verlässt, steht man erneut an einem israelischen Checkpoint.
«Für Leute wie mich ist das zwar ärgerlich, aber ich kann überall hin fahren.» Baumgarten weiss aber:
Parlamentswahlen bleiben aus
An der Universität Birzeit finden gerade Wahlen zum Studentenparlament statt. Flaggen der Hamas, der Fatah und der Kommunistischen Partei schmücken die Flaniermeile auf dem Campus. Studierende aller Fachrichtungen geniessen die wärmenden Sonnenstrahlen, darunter auffallend viele Frauen ohne Kopftuch.
«Ramallah und Birzeit sind ursprünglich christliche Städte und die Uni Birzeit eine christliche Gründung», erklärt Helga Baumgarten im Interview. Heute seien die Christen zwar eine kleine Minderheit, aber in Wirtschaft und Politik immer noch sehr einflussreich.
Während an der Uni gewählt wird, lassen die «richtigen Wahlen» noch immer auf sich warten. Die Hamas, die die Wahlen 2006 gewonnen hat und in Gaza regiert, sowie die Fatah, die 2006 verloren hat, aber trotzdem das Westjordanland regiert, haben sich zwar versöhnt, aber Parlamentswahlen fanden bisher keine statt. So bleiben Ministerpräsident Salam Fayyad und Präsident Mahmud Abbas weiter im Amt, obwohl ihre Mandate schon längst abgelaufen sind, wie Helga Baumgarten lachend bemerkt.
«Das ist kein religiöser Konflikt»
Wir wollen mit Baumgarten über den politischen Islam sprechen, über Hamas und Fatah, und landen am Ende doch immer wieder bei der Politik. Denn erstens kann man der Politik hier nicht entrinnen und zweitens sei der Nahostkonflikt kein religiöser Konflikt, sondern ein Machtkonflikt.
«Natürlich gibt es religiös begründete Landnahme seitens der radikalen israelischen Siedler, die behaupten, das Land sei ihnen von Gott versprochen worden», sagt Baumgarten, «und natürlich gibt es in der palästinensischen Gesellschaft radikale Gruppen, die sich mit fragwürdigen Mitteln dagegen wehren, dass diese Siedler behaupten, sie, die Palästinenser seien fälschlicherweise hier, sie gehörten gar nicht hierher.»
«Israel will keinen palästinensischen Staat.»
Doch am Ende müsse ganz klar festgehalten werden, dass eine ganze Reihe von israelischen Regierungen es während Jahrzehnten versäumt hat, mit den Palästinensern Frieden zu schliessen. Und daraus folgere sie, «dass diese jeweiligen Regierungen schlichtweg keinen palästinensischen Staat wollen.»