Am Freitag treffen sich in Bern über 150 Denkmalschützer und Kirchenvertreter zu einer Fachtagung, um über eine heikle Frage zu diskutieren: die neue Nutzung von Kirchen. Ein radikaler Schritt kommt sicher auch aufs Tapet: das Abreissen von Kirchen.
Umnutzungen von Kirchen – mitnichten ein neues Thema, sagt Tagungsorganisator Johannes Stückelberger. Der Kunsthistoriker an der Theologischen Fakultät der Universität Bern erinnert daran, wie pragmatisch und unverkrampft unsere Vorfahren damit umgingen: Aus römischen Tempeln wurden Kirchen, während der Reformationszeit verwandelte man die eine oder andere Klosterkirche flugs in ein Salzlager oder einen Getreidespeicher, bis ins 19. Jahrhundert wurden Kirchen aus städtebaulichen Gründen kurzerhand abgerissen: «Vor dem 19. Jahrhundert hatte man nicht das gleiche historische Bewusstsein für die Entwicklung von Bauten. Deshalb hat man auch eher Bauten preisgegeben», erklärt Johannes Stückelberger.
Der Untergang des Abendlandes?
Heute gibt es dieses historische Bewusstsein. Trotzdem meint Johannes Stückelberger: «Ich persönlich sehe nicht den Untergang des Abendlandes, wenn wir Kirchen aufgeben müssen.» Aber das Aufgeben einer Kirche brauche Verstand und Sorgfalt. Das Abreissen einer Kirche erst recht.
Kirchen seien nämlich immer ein Stück Kulturgut und funktionierten oft wie eine Art Leuchtturm in einem Stadtquartier: «Sie sind nicht einfach vernachlässigbar, wenn man das Stadt- oder auch das Dorfbild nicht bedrohen will», so Stückelberger.
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Wohnungen als Alternative
In der Schweiz sind Abrisse von Kirchengebäuden der öffentlich-rechtlichen Kirchen bis jetzt Ausnahmen. 2008 fuhren in Genf die Bagger auf, um eine protestantische Kirche abzureissen. Jetzt steht dort eine grosse Überbauung mit günstigen Wohnungen. In Bern wird zurzeit nachgedacht, ob man die Matthäuskirche abreissen soll. In Turgi im Kanton Aargau steht die reformierte Kirche ganz konkret zur Disposition.
Laut Kirchgemeinde ist die Kirche in Turgi in einem baulich schlechten Zustand. Darum soll sie durch eine kleinere ersetzt und das Land zusätzlich für zwölf Alterswohnungen genutzt werden. Der Gemeinderat hat das Vorhaben gestoppt. Er zweifelt, dass die Bausubstanz schlecht sei und möchte die Schutzwürdigkeit der Kirche prüfen lassen.
Überdimensionierte Bauten
Die Kirchen in Turgi, Bern und Genf haben etwas gemeinsam: Es sind Bauten der Nachkriegszeit. Kirchen, die jetzt renovationsbedürftig seien, sagt Johannes Stückelberger und ergänzt: «Es sind oft auch sehr billig gebaute, einfache Bauten – man könnte auch von Schuhschachteln sprechen. Oft sind sie auch überdimensioniert. Damals hatte man den Anspruch, jedem Mitglied der Kirchgemeinde einen Sitzplatz zu garantieren.»
Wenn sich heute 150 Kirchenvertreter und Denkmalpfleger auf Einladung von Johannes Stückelberger zum ersten Kirchenbautag zusammentreffen, machen sie einen ersten Schritt, um über die Umnutzung von Kirchen zu diskutieren. Gut möglich, dass die einen dann auch einen zweiten, radikalen Schritt wagen und im Abreissen eine Chance für etwas Neues erkennen.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 21.8.15, 12:10 Uhr