Es ist ein ungemütliches Buch, 624 Seiten dick, 450 Schwarz-weiss-Fotos von Krawallen, Demonstrationen, Gasmasken, Schlagstöcken und Vermummten. Dicht an dicht mit amtlichen Schriften, Aktennotizen, Stadtpolizei, Kantonspolizei, Justizdepartement, Staatsschutz. Die Einträge beginnen 1971 und enden 1989 – und handeln vom Zürcher Pressefotografen Miklós Klaus Rózsa. Damals wurde im Zuge der sogenannten Fichenaffäre klar, dass die Behörden rund 800‘000 Karteikarten von tatsächlich oder vermeintlich «staatsgefährdenden» Privatpersonen und Organisationen angelegt hatten.
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Dieses Buch ist zum einen eine Reise in eine Vergangenheit: Die Welt war zweigeteilt in West und Ost. Behörden und Teile der Gesellschaft vermuteten hinter jeder dissidenten Meinung die Fünfte Kolonne der Sowjetunion. Die galt es zu bekämpfen.
Für den 1954 geborenen Zürcher Fotografen Miklós Klaus Rózsa bedeutete das: Die Polizei von Bund, Kanton und Stadt Zürich beobachtete ihn genau. Über Jahrzehnte bespitzelten und behinderten sie ihn, er wurde festgenommen und geschlagen. Polizisten bedrohten ihn mit dem Gummigeschoss-Gewehr und nahmen ihm Filme ab, dann und wann zerschlugen sie seine Fotoausrüstung.
Fotografieren als politischer Akt
Rózsas Vergehen war stets dasselbe: Er fotografierte. Zum Beispiel Beamte im Einsatz. Und die Aufnahmen schmeichelten den Behörden nicht, denn sie zeigten oft Ausschreitungen, Wasserwerfer und Polizisten, die prügelten. Rózsas fotodokumentarische Arbeit hatte etwas Obsessives. Hier konnte einer nicht davon lassen, die Auswüchse des verbreiteten Law-and-Order-Denkens festzuhalten.
Miklós Klaus Rózsa verstand – und versteht noch heute – seine Fotografie als «politischen Akt». Und die Anliegen, die er selbst im Buch nennt, sind keineswegs historisch: «Wo Wohnen zum Luxus wird, der Restaurantbesuch mit anschliessendem Kinobesuch schnell einmal 200 Franken oder mehr kostet, wird es für viele, zu viele, ungemütlich. Einst günstige Wohnungen an schlechter Lage werden heute luxussaniert, die ehemaligen Bewohnerinnen und Bewohner an den Stadtrand gedrängt. Ist es unerhört, wenn man sich wünscht, dass der aktuelle rot-rot-grüne Stadtrat aus begangenen Fehlern etwas lernt?»
Fünf Bundesordner voll Akten
«Bekannt seit 1971», heisst es in Akten über Miklós Klaus Rózsa. Damals, als 16-Jähriger, wurde er politisiert, während der Auseinandersetzungen um das erste autonome Jugendzentrum in Zürich, die «Autonome Republik Bunker». Rózsa erlebte seit 1971 die Spannungsfelder der schweizerischen, insbesondere der zürcherischen Politik mit: die Anti-AKW-Bewegung, die linke Szene, die Jugendbewegung, Hausbesetzungen – und die Staatsschutzaktivitäten.
Fünf Bundesordner Staatsschutz- und Polizeiakten hat der Fotograf über sich vorliegen. 3200 Seiten Material. Ein enormer Einsatz von Staatsgeldern für den Staatsschutz, wie zum Beispiel Protokolle nutzloser telefonischer Überwachung belegen. Hunderte von Beamten und Informanten wirkten an dieser Heimatfront. Das beunruhigt und irritiert auch 25 Jahre nach dem Fichenskandal. Wie war das in einer Demokratie möglich?
Ungemütliche Fragen stellen sich
Die Künstler Christof Nüssli und Christoph Oeschger haben für dieses Buch die Akten über Miklós Klaus Rózsa gesichtet, ausgewählt, chronologisch geordnet und mit seinen Fotos collagiert. Sie haben damit ein beklemmendes Zeugnis einer nicht sehr fernen Zeit geschaffen, in der demokratische Grundrechte wie Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit und die Freiheit der Meinungsäusserung deutlich weniger Gewicht hatten als heute.
Aber unweigerlich stellt sich die Frage: Wie handhaben die Schweizer Behörden den Staatsschutz heute? Gelten die durch die Verfassung garantierten Grundrechte jetzt tatsächlich und uneingeschränkt? In diesem Sinn regt diese Dokumentation der Jahre 1971 bis '89 die Gedanken an. In eine ganz und gar ungemütliche Richtung.