- Papst Franziskus hat in einem Lehrschreiben die Ergebnisse der beiden Bischofstreffen zum Thema Ehe und Familie mit eigenen Schlussfolgerungen zusammengefasst.
- Franziskus rüttelt in seinem Resümee nicht an den Fundamenten der Kirche, aber überrascht mit Selbstkritik und offenen Worten über Sex. «Es ist gut, den Morgen immer mit einem Kuss zu beginnen», rät der Papst.
- Homosexuelle werden nur am Rande erwähnt. Wiederverheiratete Gläubige sollen «ihren Platz in der Kirche» haben, schreibt Franziskus und appelliert an das Gewissen der Pfarrer und Priester, Einzelfälle abzuwägen.
Der Vatikan hatte mächtig Spannung aufgebaut: Umfragen bei Gläubigen weltweit und zwei Versammlungen von Hunderten von Bischöfen zu Familienthemen. Nun äussert sich Papst Franziskus in einem abschliessenden Dokument.
«Weisheitlich» sei das Wort, das ihr nach der ersten Lektüre in den Sinn gekommen sei, sagt Eva-Maria Faber, Dozentin für Dogmatik und Fundamentaltheologie an der Theologischen Hochschule Chur. Das jüngste päpstliche Dokument sei eine «Begleitung menschlichen Lebens – ein Versuch fast, konkrete Ratschläge zu geben. Das Schreiben soll so konkret sein, dass Menschen ihre Situationen wiedererkennen können.»
Keine Palastrevolution
Die päpstliche Schrift mit dem Titel «Amoris laetitia – Über die Liebe in der Familie» ist insgesamt keine Palastrevolution. Die Lehre der Kirche bleibt unangetastet. Der Papst will aber mehr Spielraum für die Seelsorgenden im konkreten Einzelfall. Er gewichtet auch das Gewissen der Gläubigen hoch.
Das heisst konkret: Getaufte, die geschieden und zivil wiederverheiratet sind, sollen «stärker in die Gemeinschaft integriert werden». Dies kann in Absprache mit einem Priester den Empfang der Kommunion einschliessen. Das ist neu. Und dies nennt Papst Franziskus eine «Logik der barmherzigen Pastoral».
Das Schreiben, sagt Eva-Maria Faber, kremple die herrschende Morallehre aber nicht um, auch nicht das Kirchenrecht: «Es wird aber darauf verzichtet, eine konkrete Norm aufzustellen. Das Gesetz ist nicht über die Nöte der Menschen zu stellen: Das hat mit Barmherzigkeit und mit Gerechtigkeit zu tun.» Denn es solle gewürdigt werden, «was positiv gelebt wird.»
Absage an Homoehe
Zur Homosexualität äussert sich der Papst nur am Rande. Er fordert Respekt im Umgang mit homosexuellen Menschen und verurteilt jegliche Diskriminierung und Gewalt gegen sie. Gleichzeitig erteilt er einer Homoehe eine klare Absage. Partnerschaften zwischen Personen gleichen Geschlechts könnten nicht einfach mit der Ehe gleichgestellt werden.
Das Ideal der unauflöslichen Ehe wird hochgehalten. Wichtiger als eine Seelsorge der Gescheiterten sei das Bemühen der Seelsorgenden, Ehen zu festigen. Ehe versteht der Papst nicht als «Fertigprodukt». Man müsse den Wein zum Reifen bringen.
Die Eheleute werden zu natürlichen Methoden der Empfängnisverhütung ermutigt. In der knapp 200 Seiten starken Grundsatzschrift des Papstes werden Ehe, Sexualität und Familie gewürdigt. Das sei in der Geschichte der Kirche zu wenig geschehen. Papst Franziskus räumt auf mit einer Kirche, die verurteilt.
Es sei mit dem Schreiben deutlich geworden, dass ein neuer Ansatz da sei, meint Eva-Maria Faber. «Der Papst macht ernst mit dem Prinzip, das ihm wichtig ist: Die Wirklichkeit ist wichtiger als die Idee. Er steht zu Idealen wie Treue, Verlässlichkeit. Aber er weiss, dass in der Wirklichkeit Freuden, Träume, Dramen der Menschen eine Rolle spielen.»
Respektvolle Zärtlichkeit
«Ja zur Sexualerziehung», überschreibt Franziskus ein Kapitel. Ungewohnte Worte aus päpstlichem Mund. Jugendliche sollen gegenseitige Fürsorge und respektvolle Zärtlichkeit erlernen. Dies soll wohl aber nicht als Aufruf zu vorehelichem Sex missverstanden werden.
Trocken stellt der Papst fest, dass Priester und Bischöfe zu wenig vorbereitet seien, um mit den Problemen der Familien umgehen zu können. Seinen zum Zölibat verpflichteten Klerus erinnert er gleich noch an die Erfahrung der östlichen Tradition der verheirateten Priester.
Insgesamt orientiert sich der Papst in seinem Dokument an den Schlussberichten der Bischöfe nach den beiden Synoden 2014 und 2015. Der liberale Flügel der Bischöfe hatte sich bereits damals für mehr Regionalisierung und Milde im Einzelfall ausgesprochen.
Zauberwort Inkulturation
Der Papst spielt den Ball in den Regionen zu. Inkulturation heisst das Zauberwort der Stunde. Nicht jede moralische Frage müsse von Rom entschieden werden. In jedem Land oder in jeder Region «können besser inkulturierte Lösungen» gefunden werden.
Poetisch ist die Sprache des Papstes an mancher Stelle. Gar euphorisch wird der Papst, wenn es um Spiritualität und Familie geht. Die Familie sei kein Stolperstein auf dem Weg zu Gott. Vielmehr sieht er die Familie als Weg, der «auf die Gipfel der mystischen Vereinigung» führt.