Vor 40 Jahren erlangten vietnamesische Flüchtlinge eine traurige Bekanntheit: als sogenannte «Boatpeople». Zu Hunderttausenden flohen sie nach Ende des Vietnamkriegs vor dem kommunistischen Regime. In kleinen seeuntauglichen Fischerbooten versuchten sie über das südchinesische Meer zu gelangen. Viele ertranken oder wurden von Piraten überfallen.
Wer es in eines der Flüchtlingslager schaffte, lebte dort unter katastrophalen Bedingungen. Das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte (UNHCR) stufte die Situation als humanitäre Katastrophe ein.
Die Mitgliedländer wurden aufgefordert sogenannte Kontingentflüchtlinge aufzunehmen. Zwischen 1975 bis 1995 nahm die Schweiz offiziell über 6000 Flüchtlinge auf. Die meisten von ihnen waren Buddhisten.
Keinen Halt ohne Religion
In der Schweizer Flüchtlingspolitik konzentrierte man sich damals darauf, keine Einzelpersonen aufzunehmen, sondern nur ganze Familien. Man erhoffte sich, dass sich Familienmitglieder in dieser schwierigen Situation gegenseitig unterstützen könnten. Religionswissenschaftler Frank Weigelt, Autor des Buches «Die vietnamesisch-buddhistische Diaspora in der Schweiz», untersuchte, wie sich vietnamesische Flüchtlinge in der Schweiz einlebten.
Besonderes Augenmerk legte er auf den Aspekt «Religion». Hilft Religion bei der Integration? Frank Weigelt stellte fest, dass die Strategie der Schweizer Flüchtlingspolitik nur teilweise aufging: Zwar konnten sich die Familienmitglieder emotional unterstützen, doch sie konnten die ganze Last nicht alleine tragen.
Religion gehört zum Dasein
Viele Flüchtlinge waren traumatisiert und verloren jeden Halt. Die Suizidrate unter asiatischen Flüchtlingen stieg dramatisch an. Ihnen fehlten Orte, wo sie ihre kulturellen Gepflogenheiten leben konnten – dazu gehörte auch ihre Religion.
Vietnamesen koppeln Religion nicht von ihrem Alltag ab. Sie gehört zum Arbeitsort, zum Essen, zur Familie – der Buddhismus fliesst in jeden Bereich des Daseins ein. Doch kulturelle und religiöse Eigenheiten sahen die Behörden damals nicht als förderungswürdig an. Die Integration zielte lediglich auf eine wirtschaftliche Eingliederung ab, schreibt Frank Weigelt in seinem Buch.
Vom Ghetto in die Mehrheitsgesellschaft
Vietnamesische Flüchtlingsfamilien wurden in der ganzen Schweiz verstreut untergebracht. Das gehörte in den 70er-Jahren zur Integrationsstrategie. Damit wollte man verhindern, dass die Indochinaflüchtlinge eine Parallelgesellschaft aufbauen würden – ähnlich wie die tibetischen Flüchtlinge in den 60er-Jahren. Doch der Versuch schlug fehl. Die zerstreute Struktur verhinderte soziale Kontakte und erschwerte die Betreuung. Nach einiger Zeit schwenkte man um.
Behörden und Hilfswerke unterstützten nun die Schutzsuchenden darin, eigene Strukturen aufzubauen, kulturelle Treffpunkte zu schaffen und sich damit von der Mehrheitsgesellschaft abzugrenzen. Sie richteten religiöse Zentren ein, sogenannte Pagoden. Dort konnten sie nicht nur ihre Religion ausüben, sondern auch soziale Kontakte pflegen.
Gestärkt und gefestigt in ihrer eigenen Kultur, integrierten sie sich problemlos. Das Fazit des Religionswissenschaftlers Frank Weigelt: Die vietnamesisch-buddhistische Gemeinschaft ist längst in der Mehrheitsgesellschaft angekommen.