Caroline Fux hat legendäre Vorgängerinnen: Nach Marta Emmenegger betreute während 16 Jahren Eliane Schweitzer die Kolumne im «Blick», die fast täglich die Gardinen der hiesigen Schlafzimmer lüftete. Freimütig und fast schon liebevoll nahm sie sich der sexuellen Sorgen, Nöte und des Liebeskummers und Beziehungsstresses von Otto Normalverbraucher an und versuchte mit Tipps und Tricks das Sexleben anderer wieder in Gang zu bringen.
Unverblümter Klartext
Für die Psychologin Caroline Fux ein unschätzbares Verdienst, denn eine glückliche Liebesbeziehung sei für die meisten Menschen eines ihrer wichtigsten Lebensziele. Und weil für Fux zum glücklichen Liebesleben auch ein erfülltes Sexleben gehört, hat sie mit einer Kollegin kurzerhand einen Sexratgeber verfasst (siehe Box), der unverblümten Klartext spricht und zu Experimentierfreude im Liebeslabor ermutigen will.
Nach dem Tod von Eliane Schweitzer trat die 32jährige Caroline Fux im letzten Oktober in die Fussstapfen von Marta und Eliane und erhält seither rund 5 bis 15 Anfragen pro Tag. Mit den Antworten füllt sie ihre Kolumnen im Blick und im Blick am Abend. Männer schrieben ihr dabei häufiger als Frauen, sagt Fux. Sie vermutet, dass Frauen ihr Herz eher bei Freundinnen ausschütteten, derweil die Männer die anonyme Anlaufstelle bevorzugen würden.
Barbara Bleisch: Was wollen die Leute denn so von Ihnen wissen?
Caroline Fux: Einerseits stellen sie «handwerkliche» Fragen, beispielsweise wie eine bestimmte Sexpraktik funktioniert. Andererseits Beziehungsfragen: Wie gestehe ich ihr, dass ich mich in sie verliebt habe, oder wie kann ihr Vertrauen nach einem Seitensprung zurückgewinnen? Und dann gibt es natürlich die klassischen Sexfragen: Wie sage ich ihm, dass ich mal gemeinsam einen Porno schauen möchte? Was können wir tun, damit unser Sexleben nicht einschläft – trotz Kleinkindern im Zimmer nebenan?
Empfehlen Sie auch mal eine Lüge?
Lügen ist immer die schlechtere Variante. Ein Paar muss aber auch nicht alles teilen. Ich halte nichts vom Ideal des Liebespaares, das zu einer Einheit verschmilzt, in der es keinen Platz mehr gibt für Individualität.
Der Grat zwischen Schweigen und Lügen ist bekanntlich schmal...
Klar! Aber die wichtigere Grenze für mich ist jene zwischen Wunsch und Phantasie: Eine sexuelle Phantasie – beispielsweise einmal Sex mit dem Nachbarn zu haben oder mit zwei Frauen gleichzeitig – muss dem Gegenüber nicht auf die Nase gebunden werden. Phantasien gehören zum Leben und bergen einen grossen Reichtum, selbst wenn wir einen Grossteil dieser Phantasien selber nie ausleben wollen würden. Ein Wunsch drängt dagegen auf Umsetzung. Wünsche sollten wir unseren Partnerinnen und Partnern mitteilen, denn bleiben sie unerfüllt, entwickeln sie eine enorme Sprengkraft.
Was macht Sie eigentlich zur Expertin in Sex- und Beziehungsfragen?
Heute gibt es ja für alles Diplome. Ich war überrascht, als ich hörte, dass man als Hauswart heute einen Master in «Facility Management» erwerben kann. Einen Master als Sexberaterin habe ich nicht, aber ich bin Psychologin mit Universitätsabschluss. Das Fachwissen im Sexualbereich habe ich mir erarbeitet. Psychologie ist auch ein Handwerk, aber ich präsentiere keine pfannenfertigen Lösungen, sondern versuche, bei der Suche nach dem individuellen Weg Denkanstösse zu geben. Die Verantwortung für die eigene Beziehung müssen die Leute aber schon selber übernehmen. Und oft braucht es auch einfach ein offenes Ohr und gesunden Menschenverstand.
Gibt es einen Tipp, den Sie jedem Paar geben würden?
Das Sexleben muss gepflegt werden. Sex ist kein Selbstläufer! Man muss sich mit ihm befassen, sich Zeit nehmen dafür. Schauen Sie doch mal, wie viel Zeit sich Verliebte widmen – und die haben meist auch superguten Sex. Und nach ein paar Monaten hört man sich kaum noch zu. Das liegt nicht nur am Hormonsturm, der nachlässt. Die Leute bemühen sich auch einfach weniger umeinander und hören auf, zu investieren. Paare müssen sich auch bewusst sein, dass Männer und Frauen in Sachen Sex oft anders ticken: Frauen brauchen Intimität für Sex, Männer brauchen Sex für Intimität.
Das ist jetzt aber sehr pauschal…
Stimmt. Es gibt auch nicht «die Männer» und «die Frauen». Trotzdem gibt es Verhaltens- und Sichtweisen, die beim einen Geschlecht einfach häufiger vorkommen als beim anderen. Männer und Frauen sind nicht gleich. Sie haben andere Körper und zum Teil andere Bedürfnisse. Ich finde es schade, dass man das heute kaum mehr sagen darf. Im Bett ist der Geschlechterunterschied nicht wegzudiskutieren. Wer ihn negiert, verdirbt sich leicht die Sexualität.
Man sagt, unsere Gesellschaft sei übersexualisiert. Stimmt das?
Absolut! Sex ist zum Werbeträger schlechthin geworden, selbst auf dem Staubsauger sitzt noch eine leicht bekleidete Dame mit tiefem Dekolleté. Was wir in Werbung und Filmen gezeigt bekommen, hat aber wenig zu tun mit realen Körpern, mit realem Sex. Wir sind deshalb tatsächlich «oversexed and underfucked».
Da müssen Sie mir jetzt helfen. Wenn wir übersexualisiert sind, warum bleibt denn die Erotik im privaten Schlafzimmer weg?
Weil wir die falschen Massstäbe ansetzen. Weil wir so aussehen wollen, wie die Frau auf dem Plakat im Bikini oder wie der Mann, der im Film gleichzeitig Sex hat und einen Mörder jagt. Und weil wir nicht bereit sind zu üben. Guter Sex braucht Kreativität und Investitionen – das wollen viele nicht wahrhaben.
Und was halten Sie von Internetportalen, auf denen gratis Pornofilme konsumiert werden können?
Da gibt es Unterschiede: Bei Jugendlichen ist der Konsum von Sexvideos problematisch, wenn es die alleinige Quelle des Entdeckens ist. Das scheint mir bei vielen Teenagern aber nicht der Fall zu sein. Die sind in ihren realen Beziehungen viel liebevoller und auch konservativer, als es oft dargestellt wird. Bei den Erwachsenen wird der Pornokonsum meines Erachtens erst zum Problem, wenn er die eigene Sexualität beeinträchtigt, also wenn Sex nur noch als befriedigend erlebt wird unter den visuellen Reizen eines Pornos.
Was wäre denn das Problem, wenn alle nur noch Pornos schauen würden und niemand mehr realen Sex hätte?
Solche Fragen zielen an der Realität vorbei. Im Liebesspiel will man ja auch erobern, verführen – das kann kein Porno leisten. Ausserdem erzeugt Sex in einer Partnerschaft Intimität und Vertrautheit, und zwar in einer Weise, wie es keine Worte und Bilder zu tun vermögen.
Je nach Studie gehen 40 bis 50 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer fremd. Halten Sie Monogamie für heuchlerisch?
Ein Stück weit schon. Wir sollten offen sein für neue Beziehungsmodelle. Das heisst nicht, dass ich gegen Monogamie bin! Ich finde bloss, jedes Paar sollte seinen Weg finden, wie es die Offenheit in seiner Beziehung bewahrt, die Individualität, über die wir am Anfang schon gesprochen haben.
Laufen Paare nicht Gefahr, an der offenen Zweierbeziehung zu scheitern? Denken wir etwa an das tragikomische Schauspiel «Offene Zweierbeziehung» von Dario Fo und Franca Rame...
Da frage ich zurück: Was ist die Alternative? Wenn ein Architekt erdbebensicher bauen soll, baut er flexibel, damit die Gebäudehülle die Erschütterungen aushält. Dieses Bild sollte unser Paarleben prägen: Wir sollten unsere Beziehungen flexibel gestalten, damit sie den Erschütterungen standhalten, die das Leben und eben auch die Liebe mit sich bringen. Aber – und das möchte ich wirklich betonen – ohne festes Fundament steht kein Haus.