Im Restaurant Côté Sud, im zweiten Stock des Bahnhofs Bern, sitzt Avin Mahmoud, das Kinn auf die Hand gestützt. Sie schaut auf den Autoverkehr auf der Strasse. «Nachher fahre ich mit dem Zug nach Biel, um Freunde zu besuchen. Deshalb bleibe ich in der Nähe des Bahnhofs», sagt sie.
Engagement für Frauen- und Minderheitsrechte
Avin Mahmoud wurde als zweites von zehn Kindern in eine kurdische Familie hineingeboren. Sie wuchs in der syrischen Stadt Qamischli auf. Im Jahr 2000 ging sie nach Aleppo, um Rechtswissenschaften zu studieren.
«An der Universität beschäftigte ich mich mit Frauen- und Minderheitsrecht in der kurdischen Union in Syrien», sagt sie. 2005 begann sie mit der Arbeit als Assistentin eines Rechtsanwalts in ihrer Heimatstadt, ab 2007 arbeitete sie selbst als Rechtsanwältin.
Keine Rechte im eigenen Land
Das syrische Regime von Hafiz al-Assad, Bashar al-Assads Vater, habe die Kurden unterdrückt, sagt Avin Mahmoud. Sie wollte für ihre Rechte kämpfen, aber sie verstand bald: «Die Kurden haben in ihrem eigenen Land keine Rechte.»
1962 entschied die syrische Regierung, Araber in den kurdischen Gebieten anzusiedeln und entzog den Kurden die Niederlassungsbewilligung. Zahlreiche Kurden haben bis heute keine Staatsbürgerschaft in Syrien, obwohl sie die Ureinwohner sind.
Reiseverbot ins Ausland
«Meine Motivation, Rechtsanwältin zu werden, war die staatliche Ungerechtigkeit und die gesellschaftliche Frauenbenachteiligung», sagt Avin Mahmoud. 2007 wurde sie Mitglied des syrischen Menschenrechtvereins. 2008 ging sie erstmals nach Genf, um an einer Frauenrechtskonferenz teilzunehmen.
«Als ich zurück in Syrien war, erteilte mir die Regierung ein Reiseverbot ins Ausland», sagt Avin Mahmoud. Ende 2013, während der syrischen Revolution, ging sie zum zweiten Mal in die Schweiz – wieder wegen einer Konferenz der Syrischen Fraueninitiative für Frieden. «Diesmal stellte ich in der Schweiz ein Asylgesuch. Aus Angst vor dem Assad-Regime kehrte ich gar nicht mehr nach Syrien zurück. Ich hatte während der Revolution mit Assads Gegnern Widerstand geleistet.»
Schweizer Kultur erleben
Bevor auch ihr Ehemann in die Schweiz reiste, war Avin Mahmoud alleine hier. Sie bekam jedoch Unterstützung von Schweizern: «Familie Zaugg-Ott aus Bern hat mich bei sich aufgenommen. Sie half mir, das Leben positiv zu sehen. Durch sie erlebte ich Schweizer Kultur.»
Heute lebt Avin Mahmoud mit ihrem Mann in einem Haus, in dem auch ein Ehepaar aus der Schweiz wohnt. «Manchmal mache ich mit ihnen einen Spaziergang oder wir besuchen andere Schweizer Familien, ihre Bekannten und Verwandten.»
Im Oktober 2015 ging Avin Mahmoud nach Jordanien, um sich von dort aus für syrische Frauen zu engagieren. «Ich bin zwar nicht in Syrien», sagt sie, «aber wenn ich irgendetwas für die syrischen Frauen und die Menschenrechte tun kann, mache ich es».
Mahmoud interessiert sich auch für Schweizer Recht. «Täglich lerne ich fünf Stunden Deutsch, damit ich an die Universität gehen kann – die Sprache ist der Schlüssel, damit ich mein Ziel erreiche.»