Carl Robert Lutz ist mit der Ehrenmedaille der renommierten George-Washington-Universität in bester Gesellschaft: Staatsmänner wie Václav Havel, Shimon Peres und Michail Gorbatschow wurden bereits mit der «President’s Medal of Honor» ausgezeichnet. Lutz hatte als junger Mann an der Washingtoner Universität studiert, sie gilt als Kaderschmiede für ehrgeizige Menschen aus aller Welt.
In der Schweizer Botschaft in Washington startete der gläubige Christ seine Diplomatenlaufbahn. Als Vizekonsul der Schweizer Gesandtschaft in Budapest leitete er dann die grösste zivile Rettungsaktion für Juden im Zweiten Weltkrieg. 62‘000 Juden entkamen dank Carl Lutz dem Tod, das ist etwa die Hälfte der überlebenden jüdischen Bevölkerung in Ungarn nach dem Krieg. «Er ist ein Held», sagt ein Geretteter im neuen Schweizer Dokumentarfilm «Der Mann im Schatten» über Carl Lutz.
Der Schweizer Oskar Schindler
Carl Lutz‘ Alma Mater, die George-Washington-Universität, vergibt ihre Ehrenmedaille posthum. Denn Carl Lutz ist seit fast 40 Jahren tot. «Das würde ihm sehr viel bedeuten», sagt seine Stieftochter Agnes Hirschi. Aber noch mehr gefreut hätte ihn, den Appenzeller Patrioten, eine Anerkennung aus seiner Schweizer Heimat. Auf diese Würdigung hat er sein Leben lang gewartet. Die Medaille nimmt heute Montag Agnes Hirschi entgegen, dafür ist die 76-jährige Dame extra von Münchenbuchsee BE nach Washington D.C. gereist.
Agnes Hirschi hat Carl Lutz an seinem Sterbebett versprochen, sich um sein Erbe zu kümmern. Der passionierte Fotograf hinterliess Berge von Dokumenten, Fotos und Filmmaterial. Seine Stieftochter gibt Carl Lutz nun seit seinem Tod 1975 eine Stimme. In seinem Auftrag erzählt sie die ausserordentliche Geschichte von Carl Lutz, der eigentlich ein Schweizer Oskar Schindler war.
Geschickte Verhandlungen mit Adolf Eichmann
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Mit 18 Jahren machte sich Carl Lutz vom appenzellischen Walzenhausen in die USA auf und verbrachte dort unter anderem viele Jahre im diplomatischen Dienst. Mitten im Zweiten Weltkrieg wurde Lutz mit seiner Ehefrau Gertrud nach Budapest versetzt. Als Leiter des «Amtes für fremde Interessen» rannten ihm die verängstigten Juden die Türe ein. Darunter auch Maria Magdalena mit ihrer Tochter Agnes. «Es war Liebe auf den ersten Blick, ein ‹Coup de foudre›», schmunzelt Agnes Hirschi über 70 Jahre später, «aber ich bin sicher, dass seine Beziehung zu meiner Mutter bis zur Heirat rein platonisch war.»
Bald stellte Carl Lutz zusammen mit vielen Helferinnen und Helfern ein Rettungssystem auf die Beine, für das sich auch der heute als Judenretter berühmte schwedische Diplomat Raoul Wallenberg interessierte. Der Vizekonsul Carl Lutz kreierte den Schutzbrief, ein Dokument, das den Inhaber unter Schutz der Schweiz stellte und ihn nach Palästina ausreisen liess. Juristisch war das Papier nicht einwandfrei, die Schweizer Regierung in Bern hatte die Schutzbriefe nie abgesegnet. Aber die Nazis liessen sie zu, Carl Lutz verhandelte direkt mit Adolf Eichmann, dem Vollstrecker der Judenvernichtung. Das Kontingent von 8000 Dokumenten überschritt er dabei geschickt: «Er hat die Briefe nur von 1 bis 7999 nummeriert», erzählt Stieftochter Agnes Hirschi.
«Haben Sie etwas zu verzollen?»
Die beiden letzten Monate des Zweiten Weltkrieges verbrachte Carl Lutz mit seiner Ehefrau Gertrud, seiner platonischen Liebe Maria Magdalena und deren Tochter Agnes im Schutzkeller der Residenz in Budapest. Als im Februar 1945 die Deutschen gegen die Sowjet-Armee kapitulierten, wiesen die Rotarmisten alle Diplomaten von neutralen Staaten aus, auch Carl Lutz. Dieser erhoffte sich bei seiner Ankunft in der Schweiz, dass er von der Regierung empfangen würde, aber er musste sich mit dem üblichen Satz eines Zollbeamten begnügen: «Haben Sie etwas zu verzollen?», sei alles gewesen, was er auf Schweizer Boden zuerst gehört habe, bemerkt Carl Lutz im Dokumentarfilm.
Zurück in der Schweiz liess sich Carl Lutz von Gertrud scheiden und heiratete Maria Magdalena. Seine Rettungsaktion wurde in der Schweiz weitgehend ignoriert, dazu erhielt er eine Rüge wegen Kompetenzüberschreitung. Zunächst anerkannte man seine Leistung nur im Ausland, in Ungarn galt er als Heiliger. Lutz litt zeitlebens unter der Nichtbeachtung in seiner Heimat, er starb 1975 mit knapp 80 Jahren, einsam und verbittert. Erst 20 Jahre später wurde er offiziell rehabilitiert.