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Ein halbfertiges Dach über dem explodierten Kernreaktor in Tschernobyl.
Legende: Schon zehn Jahre im Bau: Der neue Sarkophag in Tschernobyl soll die Reaktor-Ruine von der Aussenwelt abschirmen. Keystone

Gesellschaft & Religion Tschernobyl-Sarkophag: «Goldener Esel für korrupte Funktionäre»

Am 26. April 1986 explodierte im Tschernobyl der Atomreaktorblock 4. Es war die schwerste AKW-Katastrophe der Geschichte. 30 Jahre nach dem Super-Gau laufen in Russland noch immer elf Reaktoren des Tschernobyl-Typs. Der russische Atom-Ingenieur Vladimir Kuznetsov fordert ihre Abschaltung.

  • Der Ukraine fehlen 380 Millionen Euro, um die Schutzhülle um die Reaktor-Ruine fertigzustellen.
  • Bei der grassierenden Korruption im Land verschwindet das Geld der westlichen Staaten in dunklen Kanälen
  • Russland produziert eine Strom-Überkapazität von rund 17 Gigawatt. Trotzdem sind 11 Reaktoren vom Typ Tschernobyl noch am Netz.

Der Unglücksreaktor in Tschernobyl ist eine ewige, gefährliche Strahlungsquelle. Sie sagen, es dauere mehr als 240‘000 Jahre, bis dort nichts mehr strahlt. Seit längerem wird an der zweiten Schutzhülle über der Reaktor-Ruine gebaut. Sie werfen der Ukraine vor, Unmengen von Geld in diesen neuen sogenannten Sarkophag zu verlochen ...

Zur Person:

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Prof. Vladimir Kuzentsov (60) arbeitete in Tschernobyl bis kurz vor dem Super-Gau im Nachbar-Reaktor als leitender Ingenieur. Später wurde er Mitarbeiter der sowjetischen Atomenergie-Aufsichtsbehörde. Heute hält er als Mitglied der Akademie der Naturwissenschaften an der Arkhangelsk-Universität Vorlesungen über Sicherheit von Nuklearanlagen.

Vladimir Kuznetsov: Ich finde es sehr beunruhigend, dass man Eisenbahnwagen voller Geld dorthin schafft und die wichtigsten Probleme sind nicht gelöst. Es ist ein schwarzes Loch. Seit zehn Jahren wird am neuen Sarkophag gebaut. An jedem Tschernobyl-Jahrestag packt die Ukraine einen Hammer aus, schwingt ihn Richtung Europa und sagt: Wenn wir nicht mehr Geld kriegen, wird es ein zweites Tschernobyl geben. Dann bezahlen die europäischen Staaten erneut und gleichzeitig stecken sie den Kopf in den Sand. Sie interessieren sich nicht dafür, was mit ihrem Geld geschieht.

Ohne sehr strenge internationale Kontrolle der Finanzen und der Bauarbeiten wird dieser Sarkophag nicht rechtzeitig fertig. Im Moment fehlen der Ukraine 380 Millionen Euro, um ihn fertigzustellen. Bei der grassierenden Korruption im Land verschwindet das Geld der westlichen Staaten in dunklen Kanälen. Für die korrupten Funktionäre vor Ort ist diese Bauruine ein goldener Esel.

Vor zehn Jahren gelangten Sie mit anderen Wissenschaftlern ans Oberste Gericht Russlands. Sie klagten gegen Staatspräsident Putin, weil er nichts gegen die elf Tschernobyl-Reaktoren unternimmt, die noch immer in Russland am Netz sind. Was ist seither geschehen?

Die Macht zur Stilllegung liegt bei einem einzigen Menschen, bei Putin. Das Oberste Gericht teilte aber mit, er sei nicht zuständig; wir sollen uns an Rosatom wenden, die Betreiberbehörde aller nuklearen Anlagen des Landes. Ein absurder Vorschlag. Wir wendeten uns dann an den europäischen Gerichtshof in Strassburg. Seit zehn Jahren warten wir auf eine Antwort.

Sie sagten in Interviews, Tschernobyl habe in Russland nichts verändert. Mittlerweile passierte die AKW-Katastrophe in Fukushima. Hat sich dadurch etwas verändert?

Überhaupt nichts. Die Internationale Atomagentur ordnete nach Fukushima weltweit für alle Atomkraftwerke einen Stresstest an. Was denken Sie, wie lange wir dafür in Russland brauchten? Zwei Wochen! Ein völliger Witz. Das wurde überhaupt nicht seriös gemacht. Die Betreibergesellschaft Rosatom hat Journalisten und so genannte Umweltverbände eingeladen, die alle Rosatom entweder nahestehen oder sogar von dieser Behörde finanziert werden. Nach dem so genannten Stresstest erschienen Artikel, die behaupteten, in Russland sei es mit der AKW-Sicherheit extrem gut bestellt.

Man hört immer wieder, dass die nächste AKW-Generation sicher sei. Wird es eines Tages sichere Atomkraftwerke geben?

Nein. Es ist unmöglich, ein total sichereres AKW zu bauen. Bei einem technischen Objekt kann es immer Fehler geben. Die Vergangenheit zeigt, dass man viele Berechnungen anstellen kann. So hat man bei den bisherigen AKW berechnet, dass es einmal in zehntausend Jahren zu einem Unfall kommen kann. Aber zwischen Tschernobyl und Fukushima ging es ja um einiges weniger lang.

Ihre grösste Hoffnung für die Energiezukunft Russlands?

Da habe ich überhaupt keine Hoffnung. Im Moment gibt es hier eine Strom-Überkapazität von rund 17 Gigawatt. Vor allem wegen der Wirtschaftskrise. Trotzdem baut man jetzt fünf weitere Reaktoren. Russland setzt also klar auf Atomenergie. Obschon so viel Strom eigentlich gar nicht benötigt wird. Da freut mich die Situation in Deutschland, wo alternative Energien sukzessive aufgebaut werden und die Atomenergie entsprechend zurückgefahren wird. Dagegen bleibt Russland altmodisch zurück und setzt auf eine antiquierte Technologie. Alternativenergie ist hier überhaupt kein Thema. Es gibt auch keine Kultur des Energiesparens. Die Lichter brennen bei uns ununterbrochen.

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