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Ein indischer Paar ist im Bild. Sie scheinen auf der Flucht zu sein.
Legende: Ein indisches Paar auf der Flucht vor den alten Vorstellungen. SRF

Gesellschaft & Religion Verfolgt, weil sie den Falschen lieben

Sie sind auf der Flucht, weil die Familie gegen ihre Liebe ist. Und sie kämpfen dafür, sich sehen zu dürfen. Der Dokumentar-Film «Verbotene Liebe» zeigt: Die alten Vorstellungen, wen man zu heiraten hat und wen nicht, sind in Indien noch immer tief verwurzelt.

Arti Kashyap wurde schon dreimal von ihrer Mutter verkauft. Weil sich die 22-jährige Inderin in einen Mann aus einer tieferen Kaste verliebt hat, musste sie von ihrer Familie immer wieder Schläge einstecken. Fünfmal hat sie bei der Polizei Schutz vor ihrer Familie gesucht – bis anhin erfolglos. Ihr Mann und sie werden mit dem Tod bedroht. Nun sind sie auf der Flucht.

Ihr Schicksal ist kein Einzelfall. Viele junge Paare, die sich über das Kastensystem hinwegsetzen, werden verfolgt. Weil sie ihre Liebe ungeachtet von Kaste und Religion ausleben wollen, bleibt vielen nur die Flucht von der Familie.

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Schutz beim Liebeskommando

Der italienische Regisseur Gianpaolo Bigoli hat drei solcher Paare porträtiert. Der 34-jährige Filmemacher begleitet sie als stummer Beobachter und zeigt, wie sie um ihre Liebe und die gemeinsame Zukunft kämpfen.

In ihrer Verzweiflung wenden sich viele solche «verbotene Paare» an das «Liebeskommando», eine Organisation, die der ehemalige Journalist Sanyoj Sachdev in Neu Delhi ins Leben gerufen hat. Sie kämpft dafür, dass die Paare ihre Liebe in Sicherheit ausleben können. Beim Liebeskommando finden Leute wie Arti und ihr Mann Unterschlupf, Schutz und rechtlichen Beistand.

Über 1000 Ehrenmorde pro Jahr

In Indien ist das Kastensystem seit 1949 abgeschafft – und damit eine uralte hierarchische Anordnung gesellschaftlicher Gruppen. Einer kastenübergreifenden Heirat stünde damit grundsätzlich nichts im Wege.

In den Köpfen vieler Inder jedoch lebt das Gebot oft weiter, nur innerhalb der eigenen Kaste zu heiraten. Immer noch finden in Indien jährlich über 1000 Ehrenmorde pro Jahr statt, weil sich Paare unterschiedlicher Kasten und Religionen ineinander verliebt haben. «Doch daran ist nichts Ehrenhaftes», sagt Sachdev. So habe das Liebeskommando seinen Anfang genommen.

Eine einzige Kultur?

«Wir glauben, dass es nur eine einzige Kultur gibt: Die Kunst zu lieben und geliebt zu werden», sagt Sachdev in unmissverständlich einfachen Worten.

Der Kampf um eine gemeinsame Zukunft verläuft unterschiedlich erfolgreich. Einige Paare finden vielleicht bei der Familie des Mannes einen Unterschlupf, werden aber von der Familie der Frau weiterhin bedroht. Andere können zumindest in einem anderen Stadtteil der Stadt, fern der Familie, zusammen leben.

Viele leben unfreiwillig getrennt

Oft sind die «verbotenen» Paare aber gezwungen, ohne den Partner zu leben, viele trennen sich, aus Angst, getötet zu werden.

Andere, wie Karuneshs Ehefrau Renuka, wurden von ihren Eltern eingesperrt. Versuchte der 32-jährige Inder, Renuka zu sehen, wurde er jedes Mal verprügelt. Nun sind schon vier Jahre vergangen seit ihrer letzten Begegnung. Ob es ihm gelingt, sie zu befreien? Und ob sich Arti mit ihrem Mann aus dem Versteck des Liebeskommandos wagen kann?

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Am Sonntag, 11.5.2014, spricht Judith Hardegger mit der aus Sri Lanka stammenden Anu Sivaganesan über das Thema Zwangsheirat ( «Arrangiert oder aufgezwungen – Zwangsheirat in der Schweiz» , Sternstunde Religion, 11.5.2014, 10 Uhr)

Ein Schleier voller Tränen

Bigoli setzt das Schicksal der Paare filmerisch konsequent um, indem er eine ausdrucksstarke Bildsprache wählt: Die Paare, die vor einer ungewissen Zukunft stehen, zeigt der Filmemacher oft, indem er den Fokus der Kamera auf seine Protagonisten richtet und den Hintergrund verschwimmen lässt. Dies erzeugt eine grosse Nähe und Intimität. Die Konturen der Protagonisten sind klar, der Hintergrund jedoch bleibt – wenn auch oft abgehoben mit leuchtenden Farbkontrasten – durch die geringe Schärfentiefe aber oft nur angedeutet und zu erahnen.

Auch der weite Blick über die Dächer von Neu-Delhi wirkt metaphorisch: Was weit weg vor dem Zuschauer liegt, verschwindet im Smog der Stadt und wird unfassbar. So bleibt auch die Zukunft der drei Paare äusserst ungewiss und schemenhaft.

Und wenn Bigoli die Augen von Karunesh filmt, der die Bilder seiner weggesperrten Frau anschaut, lässt er das Bild an Schärfe abnehmen und die Konturen zerfliessen. Während sich sein Protagonist die Tränen aus den Augen streicht, wirkt es, als sähe auch der Zuschauer plötzlich die Welt durch einen Schleier voller Tränen hindurch.

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