- Die Zahl der Obdachlosen ist in der Schweiz in den vergangenen Jahren markant gestiegen.
- Das Problem: Es gibt immer weniger, günstige Wohnungen und die Armut nimmt allgemein zu.
- Nicht nur diejenigen, die ohnehin schon am Rand der Gesellschaft leben, sind davon betroffen, sondern auch schwächer Verdienende, junge Familien, Menschen aus dem unteren Mittelstand.
- Die Politik tut wenig – jetzt treten Hilfswerke und Bürgerinitiativen auf den Plan.
Michel Steiner, immer mehr Menschen wenden sich an den Verein «Schwarzer Peter», weil sie keine Wohnung finden. Wie sieht das in Zahlen aus?
Michel Steiner: Als ich vor sieben Jahren beim «Schwarzen Peter» zu arbeiten begann, hatten etwa 20 Personen ihre Meldeadresse bei uns deponiert. Das ist ein Angebot für Menschen ohne festen Wohnsitz und Teil unseres Leistungsauftrags, den wir für den Kanton Basel-Stadt erbringen. Diesen Frühling werden bereits 400 Leute bei uns angemeldet sein.
Wer sind diese Menschen?
Noch vor ein paar Jahren war das die Klientel, die auch sonst zu uns kommt – Obdachlose etwa oder Drogenabhängige, die auf der Gasse leben. Jetzt haben wir es zunehmend mit Menschen zu tun, die bis vor kurzem noch eine relativ normale Biografie hatten, verheiratet waren, eine Arbeitsstelle hatten. Durch einen Schicksalsschlag verloren sie ihre Wohnung.
Von e inem Schicksalsschlag getroffen – was heisst das im konkreten Fall?
Eines der grössten Armutsrisiken ist die Trennung. Durch eine Trennung steigt das Risiko, die Wohnung zu verlieren. Zuvor lebte man gemeinsam in einer Wohnung und teilte sich die Kosten. Nun muss man sich eine neue Wohnung suchen. Das wird schnell teuer. Oder es kommt zu einem Verlust der Arbeitsstelle; jemand wird ausgesteuert, landet bei der Sozialhilfe – die Lage wird schnell prekär. Vielleicht kommen noch Schulden dazu, ein paar Mieten, die nicht bezahlt wurden.
Wie erklären Sie sich diese Zunahme in den letzten Jahren?
Aus meiner Sicht gibt es dafür zwei Gründe. Da ist zum einen der Leerwohnungsbestand. Der ist auf einem Rekordtief – bei 0,2 Prozent. Wohnungen sind also rar. Und wenn einmal etwas Bezahlbares auf dem Markt ist, bilden sich rasch Schlangen von bis zu 90 Bewerbern. Spätestens dann, wenn der Betreibungsregisterauszug verlangt wird, ist für viele klar, dass sie aus dem Rennen sind.
Zum anderen stellen wir fest, dass Prekarität oder Armut allgemein zunehmen. Bei vielen Menschen muss nur ein Steinchen im sozialen Gefüge wegfallen, schon gelangen sie in eine Abwärtsspirale.
Welchen Rat können Sie diesen Menschen geben?
Unsere Möglichkeiten sind sehr beschränkt, weil wirklich fast nichts zu holen ist auf dem Markt. Klar, wir beraten, unterstützen, stellen Computer zur Verfügung – alles gratis. Und wir schicken die Leute auch zu anderen Institutionen. Aber viel zu machen ist da nicht.
Das heisst, Sie sind relativ machtlos?
Ja, es braucht einfach mehr Wohnungen.
Woher sollen die kommen? Das Wohnraumfördergesetz wollte ja im Kanton Basel-Stadt einen Anreiz schaffen, um günstige Wohnungen zu bauen.
Das Gesetz ist aus unserer Sicht klar ungenügend. Sozial ist daran einzig, dass Genossenschaften gefördert werden sollen. Aber Genossenschaften sind relativ starre Gebilde, und der Einkauf kostet eine ganze Stange Geld. Daneben stellt der Kanton ein paar Notwohnungen zur Verfügung. Aber die sind nur für Familien.
Es braucht mehr Wohnungen – was für welche denn?
Benötigt werden günstige Wohnungen mit einem einfachen Standard. Es braucht kleine Einheiten für Einzelpersonen, mit Bad und Kochnische. Aber auch sehr geräumige Wohnungen sind notwendig, für grosse Familien, mit drei oder mehr Kindern.
Sie werden in den nächsten Wochen eine Initiative für ein Recht auf Wohnen lancieren – warum?
Die Initiative wird lanciert aus dem Netzwerk Wohnen. Das sind Leute, die sich mit der Wohnungsnot beschäftigen oder solche, die selbst von der Wohnungsnot betroffen sind. Vor eineinhalb Jahren lancierten wir bereits eine Petition zum Thema. Diese wurde aber noch nicht behandelt – letztmöglicher Termin ist der Juni.
Die Petition ist ein schwaches Mittel, und wir merkten, dass der Kanton passiv ist in der Frage. Es ging auch sehr lange, bis die kantonale Verwaltung überhaupt einmal das Wort Wohnungsnot in den Mund genommen hat. Deshalb möchten wir in der Verfassung des Kantons festlegen, dass Wohnen ein Grundrecht ist. Ein Grundrecht, das nach der Luft, dem Wasser, dem Essen gleich an vierter Stelle kommt.