- Viele Kulturschaffende sind nach Obamas Amtszeit ernüchtert. Das Kulturbudget von 148 Millionen Dollar wurde nicht aufgestockt. Kultur wird zu grossen Teilen von Privaten finanziert.
- Besonders zum Thema Rassismus hätten sich viele mehr vom Präsidenten erhofft.
- Obama lud Kulturschaffende regelmässig ins Weisse Haus ein. Das sehr erfolgreiche Musical «Hamilton» von Lin-Manuel Miranda gilt als Kulturprojekt seiner Amtszeit.
In den USA ist Kultur Privatsache
Als Barack Obama ins Weisse Haus einzog, sahen viele amerikanische Kulturschaffende in ihm einen der Ihren: einen intelligenten Menschen, der zu differenziertem Denken in der Lage ist, gehaltvolle Sätze formulieren und kluge Bücher schreiben kann. Nach acht Jahren ist die Begeisterung der Ernüchterung gewichen. Der Hoffnungsträger aus Illinois hat sich als Politiker wie mancher andere erwiesen und als sehr kompromissbereiter noch dazu.
Gewiss hatte niemand von Obama erwartet, dass er das bescheidene Kulturbudget aufstocken würde. Das ist mit knapp 148 Millionen Dollar pro Jahr gleich geblieben und nach wie vor bedeutungslos – verglichen mit den 31 Milliarden Dollar, die vermögende Individuen und Stiftungen jährlich in die schönen Künste der USA stecken.
Im einzigen westlichen Industrieland ohne Kulturminister ist Kultur noch immer Privatsache. Allerdings hatten sich viele vom ihm auch ein stärkeres Engagement für sozialen Fortschritt erhofft – besonders, was Rassismus betrifft. Gerade dieses Thema hat der erste schwarze Präsident der Vereinigten Staaten jedoch peinlich vermieden.
Seine Präsenz half dennoch
Die Kulturkritikerin Margo Jefferson, Autorin des preisgekrönten Erinnerungsbandes «Negroland», sieht Barack Obamas Bedeutung daher hauptsächlich als eine symbolische: «Er hat durch seine schiere Präsenz Veränderungen in Gang gesetzt, die vor ihm nicht möglich gewesen wären.»
Sie denkt an Bewegungen wie «Black Lives Matter» und daran, dass eine neue Generation nicht nur schwarzer Intellektueller lautstark auf Diskriminierung aller Art aufmerksam macht. Es sei einfacher, über Unterschiede zu diskutieren, so Margo Jefferson: «Durch Obama wurden viele mit ihren eigenen Vorurteilen konfrontiert. Wir haben angefangen, gängige Massstäbe zu hinterfragen.»
Das Weisse Haus als Ort für Kultur
Zu Barack Obamas symbolischen Leistungen zählt auch die Öffnung des Weissen Hauses für die Kultur. Zuletzt diente das Heim des amerikanischen Präsidenten unter den Kennedys regelmässig als Ort für kulturelle Darbietungen.
Barack und Michelle Obama haben Musikern, Künstlern und Literaten eine Plattform im Salon der Macht verliehen und damit signalisiert: Kultur ist mehr als eine Nebensache und für das Selbstverständnis eines Landes ebenso entscheidend wie Politik und Wirtschaft.
«Hamilton»: das Kulturprodukt Obamas
Auch der Künstler Lin-Manuel Miranda durfte an einem der bunten Abende bei den Obamas eine Kostprobe seines ehrgeizigen Projekts präsentieren: ein Hip-Hop-Mixtape über das Leben Alexander Hamiltons, des ersten Finanzministers der USA. Das Publikum lachte erst amüsiert über das trockene Sujet, aber nach dem mitreissenden Rap-Auftritt des jungen Musikers lieferte ihm das Publikum Standing Ovations, allen voran das Präsidentenpaar höchstselbst.
Inzwischen hat Miranda mit «Hamilton» sämtliche Musical-Rekorde gebrochen. Nach dem Pulitzer und diversen anderen gewonnenen Preisen ist der Broadway-Hit zurzeit für 16 Tony Awards nominiert, mehr als jede andere Revue davor.
Obama, der «Möglichmacher»
«Hamilton» gilt als Kulturprodukt der Obama-Ära schlechthin. Die Gründungsgeschichte der Vereinigten Staaten wird darin auf den Kopf gestellt und aus der Sicht eines Underdogs erzählt. Barack Obama war für viele ein kompletter Underdog, als er 2008 als Präsidentschaftskandidat auftauchte. Und wie die Debatten über Arm und Reich, über Privilegien und Benachteiligung im gegenwärtigen Präsidentschaftswahlkampf zeigen, bellen Underdogs heute vernehmlicher denn je. Ausserdem besteht das gesamte «Hamilton»-Ensemble aus farbigen Schauspielern. Dabei waren die Gründerväter natürlich alle weiss. Es ist ein klarer Aufruf zum Pluralismus – und doch oder eben deshalb ein gewaltiger Mainstream-Erfolg.
George W. Bush ist als glückloser «Commander-in-chief», als Oberbefehlshaber, in die Geschichte eingegangen. Manche prophezeien, dass man sich an Barack Obama dereinst als «Enabler-in-chief» erinnern wird, als «Ober-Möglich-Macher». Dieser Titel ist als klares Kompliment gemeint.