Zehntausende von Flüchtlingen suchen derzeit den Weg über das Mittelmeer nach Europa. Sie kommen aus Bürgerkriegsländern wie Syrien oder Militärdiktaturen wie Eritrea und suchen Schutz. Wie verhält sich die Schweiz?
Martina Caroni: Die Schweiz befasst sich zunehmend mit Asylgesuchen. So sind im letzten Jahr 24'000 Gesuche gestellt worden. Dabei hat die Schweiz gut 6000 Anträge gutgeheissen. Hinzu kamen noch einmal 6000 Personen, denen die Schweiz vorläufig Schutz gewährt.
Welche Rechte haben die Flüchtlinge, die in der Schweiz oder in der Europäischen Union ankommen?
Sie sind zum einen durch die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 geschützt. Diese ist eng gefasst, entstand unter dem Eindruck des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs und bezieht sich auf Menschen, die aus politischen oder religiösen Gründen in ihrer Heimat verfolgt werden. Sie dürfen nicht zurückgeschickt werden.
Zum anderen gibt es Menschenrechtsverträge, die später abgeschlossen wurden und auf dem Folterverbot aufbauen. Sie garantieren Flüchtlingen ebenfalls, dass sie nicht in einen Staat zurückgeschickt zu werden, in dem die Menschenrechte verletzt werden. Vor diesem Hintergrund etwa ist es klar, dass syrische Flüchtlinge nicht ausgewiesen werden dürfen.
Sie gehören der Eidgenössischen Kommission für Migrationsfragen an. Welche Rolle spielt die Schweiz in der europäischen Auseinandersetzung, Lösungen in der gegenwärtigen Flüchtlingskrise zu finden?
Die Schweiz arbeitet mit den Staaten der Europäischen Union und der Europäischen Freihandelsassoziation, der EFTA, zusammen. Aber sie ist dabei eine vergleichsweise kleine Akteurin. Das heisst, sie kann nicht von sich aus grosse Akzente setzen. Sie hat aber vor längerer Zeit schon klar gemacht, dass sie bereit ist, Gruppen von Flüchtlingen aufzunehmen. Und das hat sie auch bereits getan.
Viele Flüchtlinge, die jetzt nach Europa kommen, hätten auf dem Papier Anrecht auf Schutz. In der Realität sieht die Situation dennoch oft anders aus: Frankreich riegelt teilweise die Grenze gegen Italien ab, und im Raum steht auch, in Chiasso die Grenze zu schliessen. Was bedeutet das?
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Ob man die grüne Grenze in Chiasso überhaupt sperren kann, wie es ein Tessiner Regierungsrat fordert, sei einmal dahingestellt. Aber klar ist: Das sind politische Massnahmen, um bei den EU-Behörden in Brüssel Druck zu machen. Damit soll erreicht werden, dass es endlich ein Konzept gibt, wie die Belastung, die bei der gegenwärtigen Einwanderung, entsteht, gleichmässig auf die europäischen Länder verteilt werden kann.
Vielmehr wird aber seit mehreren Jahren schon von der Europäischen Union eine rechtliche Grenze aufgebaut, indem sie sich gegen aussereuropäische Migranten abschottet. Dies führt dazu, dass für viele von ihnen ein Asylgesuch der einzige Weg ist, nach Europa zu kommen. Die europäischen Länder haben noch keine Lösung gefunden, wie sie auf diesen Migrationsdruck reagieren sollen. Sie haben sich bis jetzt nur darauf einigen können, dass sie militärisch gegen Schlepper vorgehen.
Ist es vor diesem Hintergrund für Sie nachvollziehbar, dass einzelne Länder, die mit der Aufnahme von Flüchtlingen überfordert sind, Druck auf Brüssel machen?
Aus politischer Sicht ist es nachvollziehbar. Das Problem ist, dass diese Massnahmen – sagen wir Kampfmassnahmen – auf Kosten der Flüchtlinge und Asylsuchenden geht. Wer militärisch gegen Schlepper vorgeht, gefährdet auch die Menschen, die transportiert werden. Und es führt dazu, dass sich die Fluchtrouten verschieben und noch gefährlicher werden. So kommen derzeit viele Flüchtlinge von Griechenland über Serbien nach Ungarn, das jetzt einen Zaun errichten will. Das ist sicher nicht das richtige Vorgehen, weil es die Menschenrechte untergräbt.