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Jesus: Was wir historisch von ihm wissen.
Aus Perspektiven vom 24.12.2022.
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Gesichter eines Unbekannten War Jesus hässlich oder schön?

Wie Jesus aussah und wie er als Mensch wirklich war: 250 Jahre wissenschaftlicher Forschung zeichnen nur Umrisse einer der wichtigsten Personen der Menschheitsgeschichte. Kunst, Glaube und Kino füllen die Leerstellen umso üppiger aus.

Für Maria und Joseph war Jesus sicher das schönste Kind der Welt. Tatsächlich stritten aber schon die ersten christlichen Theologen, die Herren «Kirchenväter», darüber: War Jesus hässlich oder schön?

Für hässlich hielt ihn etwa Tertullian (2. Jh.). Mit «hässlich» meinte er: geschunden und mit Folternarben übersäht. Er zitiert dazu den Propheten Jesaja: «Viele haben sich über ihn entsetzt, so entstellt sah er aus, nicht mehr wie ein Mensch.» (Jes 52,14)

Anders Kirchenvater Origenes. Der bemühte Psalm 45, um den feinen Duft und schliesslich die Schönheit Jesu zu preisen: «Du bist der Schönste von allen Menschen, Anmut ist ausgegossen über deine Lippen.» (Ps 45,3)

Nicht mal die Haarfarbe ist überliefert

Die Rede von «schön» oder «hässlich» ist also bereits im 2. Jahrhundert eine theologisch-philosophische. Es ging den Theologen nicht darum, zu beschreiben, wie der Mensch Jesus wohl ausgesehen hat. Ihnen ging es um Jesus als Christus.

Bild von Jesus als himmlische Lichtgestalt.
Legende: Der Isenheimer Altar von Matthias Grünewald in Colmar zeigt den auferstandenen Christus, durchflutet von göttlichem Licht. Jesus ist hier kein «weisser Mann», sondern himmlische Lichtgestalt. Imago/Imagebroker

Im Neuen Testament – unserer wichtigsten Quelle – steht nichts darüber, wie gross oder klein, schlank oder dick Jesus gewesen sein mag. Noch nicht mal Haar- oder Augenfarbe sind überliefert.

Wie Jesus konkret aussah, darüber machen die frühen Christen keinerlei Angaben. Das habe die Evangelien schlicht nicht interessiert, betont die Neutestamentlerin Luzia Sutter Rehmann: «Ich habe darum wissenschaftlich gesehen meine Bedenken: Mit welchem Recht gehen wir da historisch auf etwas zu, das uns die Evangelien einfach nicht sagen wollen.»

Wahrscheinlich ein dunkler Typ

Dank Antikenwissenschaft und Bibelforschung wissen wir heute aber einiges über die Lebensumstände dieses Jesus. Was ihn umgab: der antike Nahe Osten, das Land und Volk Israel – das muss ihn geprägt haben, und so auch sein Aussehen. Das meint der Lausanner Neutestamentler Daniel Marguerat. In seinem neues Jesusbuch versucht er, einen «wahrscheinlichen Jesus» zu zeichnen.

Buchhinweis

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Daniel Marguerat: «Jesus aus Nazaret. Heimatloser, Heiler, Poet des Gottesreiches», TVZ-Verlag, 2022

Jesus habe mit Sicherheit einen dunklen Teint gehabt, braune Augen und braunes Haar. Aber viel mehr Äusserliches will auch Marguerat nicht aussagen. Es käme ohnehin vielmehr auf Jesu Botschaft an, auf seine Wirkung.

Jedenfalls: Gross, blond und blauäugig war Jesus sicher nicht.

Statue von Jesus vor Säulen.
Legende: Ahistorisch, aber weltweit verbreitet: die Christus-Statue von Bertel Thorvaldsen aus dem 19. Jahrhundert in Kopenhagen. IMAGO / Peter Schickert

Jesus könnte also so ausgesehen haben – ein Steckbrief:

  • Dunkle Haare, braune Augen, dunkle Hautfarbe.
  • Kleiner als Männer heute.
  • Gekleidet in ein einfaches Sackgewand mit jüdischem Gebetsmantel oder zumindest Schaufäden darunter. Dünne Schuhe.
  • Statur: Eher dünn, aber ausdauernd (das ist schon wieder umstritten).
  • Eher mit Bart als ohne. Eher längere Haare als kurze.
  • Ob er einen Stab zur Selbstverteidigung dabeihatte, so wie Hirten und Fuss-Reisende damals, ist umstritten. Ein Stab war eine Waffe. Das sahen die Römer nicht gern.
Jesusdarsteller mit Kreuz und Dornenkrone aus einem Film.
Legende: Pier Paolo Pasolini zeigt in seinem Jesusfilm «Das 1. Evangelium – Matthäus» von 1964 die harte soziale Realität von Jesus (Enrique Irazoqui). Arco Film/Corbis/Getty Images

Das «wahre» Bild Jesu

Die christliche Kunst springt in die Leerstellen des Neuen Testaments. Dies aber nicht, um unsere moderne Neugier nach dem authentischen Jesus zu befriedigen, sondern um den Glauben auszumalen.

Was wir über die historischen Umstände rund um Jesus wissen

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Jesus war ein antiker Jude und Teil der traumatisierten Agrarbevölkerung in Galiläa, damals eine römische Provinz. Es ist die Region westlich vom See Genezareth mit Orten wie Nazareth und Tiberias. Hier soll Jesus zwischen 7 oder 4 vor d. Zt. bis zirka 30 nach d. Zt. gelebt haben. Dann sei er in Jerusalem von den Römern gekreuzigt worden.

Auflehnung gegen Rom

Damals litten Land und Volk unter der Gewalt und Ausbeutung durch das römische Imperium. In der Bevölkerungspyramide gab es nur wenige Wohlhabende an der Spitze. 80 Prozent waren arm oder sogar bettelarm. Jesus gehörte zu den Armen. Sein Vater sei Handwerker gewesen.

Einige damals lehnten sich gegen Hungerleid und Verheerung auf. Rom beantwortete das jeweils gnadenlos mit Gewalt. Sie traf auch Jesus. Sein Kreuzestod sollte der Bevölkerung die Macht Roms demonstrieren. Die kulminierte schliesslich im Jahre 70 n. Chr. in der Zerstörung des jüdischen Zentralheiligtums, dem Jerusalemer Tempel durch Titus.

Zu Fuss unterwegs

Als Torah-kundiger Jude wird Jesus Aramäisch und Hebräisch gesprochen haben. Sein Aktionsradius reichte von Galiläa bis Jerusalem, mit Abstechern auf Berge und in die judäische Wüste. Er wird das alles zu Fuss gegangen sein.

Die wissenschaftliche Forschung heute beschreibt den Juden Jesus als Wander- und Umkehrprediger und charismatischen Heiler.

Gewaltlose, innerjüdische Bewegung

Neutestamentliche Texte wie auch der jüdisch-römische Autor Josephus spiegeln die innerjüdischen Konflikte und Gruppenbildungen im 1. Jahrhundert im Lande Israel, damals Palästina. Da gab es eine dünne, mit Rom kollaborierende, Oberschicht und diverse Oppositionsbewegungen: Reinheitsbewegungen, messianische Bewegungen, terroristische Gruppen.

Mehrheitlich beschreibt die Forschung Jesus, respektive die Jesusbewegung als eine gewaltlose innerjüdische Bewegung, die das Reich Gottes als nahe herbeigekommen erhoffte.

Jesu Gleichnisse dazu und seine «Bergpredigt» gelten als authentisch und Weltliteratur.

Christliche Ikonen sind traditionell verstanden «wahre Abbilder vom Urbild», also vom Originalbild einer heiligen Person. Die Idee: Schauen wir andächtig in eine Ikone, blicken wir durch dieses Abbild auf das Urbild.

Stilbildend für die westliche Kirchenkunst wurden das Schweisstuch der Veronika und das Turiner Grabtuch. Beide gelten als «im Himmel geschaffen».

Eine Frau hält auf einem Gemälde ein Tuch mit Jesu Gesicht drauf.
Legende: Das Schweisstuch der Veronika, gemalt um 1470 von Hans Memling. Wikimedia/ National Gallery of Art, Washington

Beim Turiner Grabtuch wird immer wieder die Echtheitsfrage gestellt. In der Theo-Logik christlicher Ikonen ist es «echt», weil «wahr» im Glauben. In naturwissenschaftlich historischer Logik ist es nicht «echt», weil nicht historisch.

Kunst und Kino prägen unser Jesusbild

Die Kunst, die Malerei, das Kino – sie haben wohl grösseren Einfluss auf das Bild, was sich Menschen von Jesus machen als alle wissenschaftliche Forschung.

Die Menschen trugen sich ihre Kultur und Zeit in die Jesusbilder ein. Auch ihre Schmerzen, Ängste und Hoffnungen sind ein Teil davon. Das zeigt etwa das Fastentuch aus Haiti von 1982. Es ist von schon fast erschreckender Aktualität.

Bild mit dunkelhäutigem Jesus und vielen anderen Leuten.
Legende: «The Tree of Life» des haitianischen Künstlers Jacques Chéry: Das Hungertuch mit dem dunkelhäutigen Jesus ist sehr populär. MVG Medienproduktion/Misereor

Dies ist beileibe nicht der erste «schwarze» Jesus in der Kirchenkunstgeschichte. Zwar hängt bis heute ein imperialer «weisser Jesus» à la Thorvaldsen in afrikanischen Kirchen und Schulzimmern. Aber auch «der schwarze Jesus» hat Tradition. Am ältesten sind die äthiopischen Jesusdarstellungen.

Jesus-Fresken aus einer Felsenkirche in Äthiopien.
Legende: Fresko in der Felsenkirche Maryam Papaseyti in Äthiopien: Die dortigen Christinnen und Christen stellten sich Jesus auf ihren Ikonen schon immer als schwarzen Menschen vor. IMAGO/GFC Collection

Jesu Heimholung ins Judentum

Antikenwissenschaft, Theologie und Archäologie brachten in den letzten 100 Jahren mehr Licht in die antike jüdische Lebenswelt Jesu und setzten neue Spotlights auf die Person. Zum besseren Verständnis Jesu, seiner Weltsicht und Glaubenspraxis, tragen seit rund 150 Jahren auch jüdische Wissenschaftlerinnen und Gelehrte bei.

Manche erkennen in Jesus ihren «Bruder». Schalom Ben Chorin etwa sagte, er teile den «Glauben Jesu», nur nicht den «Glauben an Jesus». Die christliche Theologie hat davon gelernt. Heute betonen Forschung und Kirchen das Jüdisch-Sein Jesu sogar als grundlegend für das Verständnis seiner Lehre.

Gemälde von Jesus mit der Darstellung eines Pogroms.
Legende: Marc Chagall zeigt 1938 auf seinem Gemälde «Weisse Kreuzigung» Jesus als gekreuzigten Juden inmitten eines Pogroms. Alamy/Peter Barritt

Wissenschaft und Neubewertung jüdischer Quellen erbringen also viel Neues. Allerdings auch immer mit viel kritischem Vorbehalt und unzähligen Fussnoten.

Jesus bleibt ein Unbekannter

Wer war nun also die Person Jesus, dieser jüdische Mann vor 2000 Jahren? Diese Frage kann historisch nicht beantwortet werden. Es habe kaum noch Sinn, die Rückfragen an den «historischen Jesus» weiter zu stellen, sagt Luzia Sutter Rehmann.

Und das sagte vor 100 Jahren schon Albert Schweitzer. Er konstatierte in seinem «Leben-Jesu-Buch», dass die historische Erforschung der realen Person Jesu immer in einer Aporie lande. In der Unmöglichkeit also, die Frage zu beantworten.

Mehr zu Albert Schweitzer

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Der Friedensnobelpreisträger Albert Schweitzer (1875–1965) war ein begnadeter Organist, Tropenarzt und Theologe. 1913 fasste Schweitzer alles zusammen, was bis dann 150 Jahre «Leben-Jesu-Forschung» ergeben hatten. Laut Schweitzer sei diese Forschung grundsätzlich in einer Aporie gelandet. Zu überfrachtet mit Glaubensinhalten ist alles, was wir über Jesus lesen, sehen und denken können.

Die Leben-Jesu-Forschung lobt Schweitzer zwar als eine «einzigartig grosse Wahrhaftigkeitstat des protestantischen Christentums». Gleichzeitig entlarvt er die bis 1906 erschienenen Jesus-Monographien: Sie würden mehr über das Weltbild der jeweiligen Autoren aussagen als über Jesus selbst.  

Als authentisch erachtet Schweitzer lediglich die Predigt Jesu: Seine Ankündigung, dass Gottes Gerechtigkeit und Frieden kommen, und zwar bald. Diese Hoffnung auf das Reich Gottes erkläre sich schlüssig aus dem Judentum der Zeit und Heimat Jesu.

Ansonsten bleibe «Jesus ein Unbekannter», schliesst Albert Schweitzer. Jesus könnten wir nie erfassen, ihm höchstens in Mystik begegnen.

Damit setzte Schweitzer dem Erkenntnisgewinn der Jesus-Forschung Grenzen. Er gab ihr aber auch eine selbstkritische Richtung vor.

Die Faszination ist ungebrochen

Wir können die 2000 Jahre zwischen uns und dem historischen Jesus nicht überspringen. Zu «breit und garstig» ist dieser historische «Graben», wie schon Aufklärungsphilosoph Gotthold Ephraim Lessing schrieb.

Aller Skepsis zum Trotz: Die Faszination am «Historischen» bleibt. Jährlich erscheinen neue Bücher, Dokus, Spielfilme mit Jesus. Millionen Menschen, gläubige und ungläubige, reisen jedes Jahr nach Israel. Sie besuchen die «historischen Stätten Jesu».

Mann mit Kreuz in der Hand lässt sich in einem Fluss taufen.
Legende: Wie Jesus im Jordan: Orthodoxe Christen lassen sich im Grenzfluss zwischen Jordanien und Israel taufen. IMAGO / UPI Photo

Menschen lassen sich «wie Jesus» im Jordan taufen. Pilgerinnen und Pilger besuchen die «Geburtskirche» in Bethlehem. In der «Grabeskirche» von Jerusalem küssen Christinnen den Stein, auf dem Jesu Leichnam eingesalbt worden sein soll.

Leibhaftig eintauchen in Weltgeschichte

Säkulare Zeitgenossen mögen das bizarr finden. Solche Praxis entspringt aber der Sehnsucht, Jesus gleichsam haptisch näher kommen zu wollen.

Der Charme des scheinbar Authentischen zieht Menschen aus aller Welt ins Land Israel. Junge Leute mit Rucksack begeben sich auf den «Jesus-Trail» in Galiläa.

Sie treten hier gleichsam in die Fussstapfen Jesu. Und zur Abkühlung springen sie in den See Genezareth, um einmal zu baden – wie Jesus.

Radio SRF 2 Kultur, Perspektiven, 25.12.2022, 08:30 Uhr

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