Die Philosophin Svenja Flasspöhler und ihr Mann, der Literaturwissenschaftler Florian Werner, haben zusammen das Buch «Auf die Welt kommen» geschrieben. Die Eltern von zwei Kindern fragen sich darin, was das Elternwerden mit ihnen gemacht hat – als Persönlichkeiten, als Philosophen und als Paar.
Ein Gespräch über das Elternsein als intellektuelles Abenteuer zwischen Schock und Chaos.
SRF: Viele Mütter und Väter sind mit dem Elternsein in unserer Optimierungsgesellschaft heillos überfordert. Sie aber beschreiben das Elternwerden als philosophisches Abenteuer und «als Chance, das eigene Leben noch einmal anders zu begreifen». Wie denn das?
Florian Werner: Moderne Menschen wollen ein selbstbestimmtes, schmerzloses, ausgeschlafenes, freies Leben führen – und all das ist mit einem Mal in Frage gestellt, wenn man Eltern wird. Man muss sich vollkommen neu justieren. Ich glaube, man lernt dabei eine Form der Liebe kennen, des Verantwortungsgefühls, des eigenen Wachstums als Persönlichkeit wie keine andere Beziehung es ermöglicht.
Svenja Flasspöhler: Mich führen die Kinder über mich selbst hinaus. Ich neige dazu, alles im Griff haben zu wollen, überstrukturiert zu sein. Die Kinder machen mir da einen Strich durch die Rechnung – das ist herrlich. Ich brauche dieses Chaos, das die Familie bringt. Dass die Kinder meine Pläne durcheinanderbringen, macht mich irgendwie gelassener.
Dass die Kinder meine Pläne durcheinanderbringen, macht mich irgendwie gelassener.
Ist Kinderkriegen sozusagen die Antithese zur Schnelllebigkeit und Flexibilität der heutigen Gesellschaft?
Florian Werner: Das war mein erster Gedanke im Kreissaal: Wir leben in einer flexibilisierten Welt, in der man alles neu verhandeln kann, das Geschlecht, den Namen, den Beruf. Aber bei diesem Kind gibt es kein Zurück. Ein Kind zu kriegen, ist eine radikale Deflexibilisierung.
Sie schreiben, dass Sie so viel Verbindlichkeit erschreckt, aber auch Kontinuität und Beständigkeit schafft: «Was könnte ernster und unironischer sein?» Klingt beruhigend.
Svenja Flasspöhler: Ja. Trotzdem war die Geburt unseres ersten Kindes durchaus ein Schock. Man denkt, so bleibt es jetzt für immer. Man kann sich gar nicht vorstellen, dass dieses Kind grösser wird und in die Welt hinaus geht.
Apropos Welt: Was sagen Sie denen, die argumentieren, die Erde stehe vor dem Kollaps und Kinder in die Welt zu setzen sei angesichts dessen unverantwortlich?
Svenja Flasspöhler: Ich halte das für völligen Schwachsinn. In einer Welt, die nicht fortexistieren will, will ich nicht leben.
Bei einem Kind gibt es kein Zurück.
Florian Werner: Es gibt keine stärkere Motivation, den Weltuntergang möglichst lange hinauszuzögern, als wenn man eigene Kinder und Enkelkinder hat, die auch auf dieser Erde leben wollen. Wir brauchen Kinder, um überhaupt an die Zukunft auf diesem Planeten denken zu können.
Ich musste beim Lesen Ihres Buches oft schmunzeln. Etwa wenn sie sagen, sie hätten sich «zwei kleine Überwachungsanlagen aus Fleisch und Blut ins Haus geholt.» Oder auch, wenn sie Nietzsche zitieren, der sagte, dass ein verheirateter Philosoph in die Komödie gehöre. Wollen Sie Nietzsche toppen?
Svenja Flasspöhler: Ja, unbedingt! Nietzsche scheitert ja an sich selber. Er kritisiert einerseits das asketische Lebensideal, dieses Christliche, das Entsagen. Und gleichzeitig sagt er: Als Philosoph müssen wir fundamental entsagen. Ich will beides: Ich möchte Bücher schreiben und Kinder haben.
Und geht die Rechnung auf?
Svenja Flasspöhler: Es ist ein steter Kampf und eine Auseinandersetzung, aber das befruchtet das Denken. Gerade dieses Mass an Unverfügbarkeit macht die Philosophie lebendig.
Florian Werner: Genau. Wir lernen von Kindern, dass nichts berechenbar ist.
Das Gespräch führte Eva Wannenmacher.