Die Unterdrückung der Uiguren durch China gilt als eines der grössten Menschenrechtsverbrechen unserer Zeit. Ein unabhängiges Tribunal spricht von Folter, Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie Genozid.
Das unsichtbare Leid der Uiguren ist nicht das einzige einer religiösen Minderheit, die oftmals muslimischen Glaubens sind. Wer schützt religiöse Minderheiten – und in welcher Form? Der Menschenrechtsexperte Heiner Bielefeldt über Überzeugung und Unterdrückung, Kontrolle und Kritik.
SRF: Welche Folgen hat es für die Gläubigen, wenn eine religiöse Minderheit wie die Uiguren an der Ausübung ihres Glaubens gehindert wird?
Heiner Bielefeldt: In Xinjiang sind die Uiguren einem Ausmass staatlicher Unterdrückung ausgesetzt, das ihre Fortexistenz als ethnisch-religiöse Gruppe gefährdet. Die Menschen leben in einem Klima systematischer Einschüchterung, geprägt von permanenter Überwachung, behördlicher Willkür, Indoktrination und massiver Repression.
Manche Gläubige werden es persönlich als Verrat an ihren Überzeugungen empfinden, wenn sie die Vorschriften ihrer Religion nicht durchgängig einhalten können. Der Zusammenhalt zwischen den Generationen droht zu zerbröckeln, wenn die Menschen ihre identitätsstiftenden Traditionen nicht weitergeben und gemeinsam erleben können. Die Lage ist dramatisch.
Wie kommt es zu einer solcher Unterdrückung?
Ich sehe ein Hauptmotiv in den unersättlichen Kontrollbedürfnissen eines autokratischen Parteistaates. In ideologischen Fragen war die chinesische Führung manchmal recht pragmatisch. Auch im Umgang mit Religion ist man – trotz unübersehbarer Re-Ideologisierung – eigentlich flexibel.
Die vorrangige Sorge gilt stets der Aufrechterhaltung der Herrschaft, monopolisiert in der Staatspartei. In einem System, in dem es keinen Ort für legale und «sichtbare» Opposition gibt, wittern die Regierenden «unsichtbare» Opposition tendenziell überall.
Menschenrechte sind keine ‹inneren Angelegenheiten›, über die die Regierungen nach Gutdünken befinden können.
Daraus resultiert das Interesse lückenloser Überwachung, Kontrolle und Infiltration – gerade auch der Religionsgemeinschaften. Die Religionsfreiheit bleibt so auf der Strecke.
Welchen Stellenwert hat die Diaspora einer religiösen Minderheit wie die der Uiguren in Istanbul?
Diaspora-Gemeinden können unterschiedliche Funktionen übernehmen. Für manche Menschen im Exil bilden sie eine Art Ersatzheimat. Sie können aber auch als politische Lobby Wirksamkeit entfalten und Bewusstsein für die Unterdrückung ihrer Angehörigen im Herkunftsland aufrechterhalten. In diesem Sinne sind auch Diaspora-Gruppen der Uiguren aktiv.
Wer schützt international die Rechte religiöser Minderheiten – und in welcher Form?
Die Situation der Uiguren ist seit Jahren regelmässig Gegenstand öffentlicher Debatten in einschlägigen Gremien der Vereinten Nationen. Zur Verbesserung der Situation hat dies wohl leider nicht beigetragen. Dazu fehlen auch den Vereinten Nationen die erforderlichen Instrumente.
Die Tatsache, dass die chinesische Regierung ausgesprochen «allergisch» auf die öffentliche Erörterung der Menschenrechtslage in ihrem Inneren reagiert, zeigt zumindest, dass die Kritik auf einen Nerv trifft. China hätte es am liebsten, dass man Menschenrechtsthemen als angeblich «innere Angelegenheiten» jedweder Kritik von aussen entzieht.
Darauf darf sich die internationale Öffentlichkeit – zu der gerade auch unabhängige zivilgesellschaftliche Organisationen gehören – auf keinen Fall einlassen.
Wer müsste mehr für diesen Schutz tun?
Letzten Endes sind wir alle gefragt. Menschenrechte sind keine «inneren Angelegenheiten», über die die Regierungen nach Gutdünken befinden können.
Das Gespräch führte Christine Schulthess.