Wie halten Sie es mit der Religion? Das wollte das Bundesamt für Statistik von rund 2000 Zürcherinnen und Zürcher wissen. Befragt wurden Konfessionslose, Reformierte, Katholische, Evangelikale und Muslime.
Wichtigste Erkenntnis der Studie: Gut die Hälfte der Zürcher Bevölkerung bezeichnet sich als säkular, auch ein beträchtlicher Anteil der Reformierten und Katholiken. Wie geht das zusammen? Die Religionswissenschaftlerin Dorothea Lüddeckens über vermeintliche Widersprüche.
SRF: Hat Sie etwas an der Studie erstaunt?
Dorothea Lüddeckens: An den Ergebnissen hat mich nichts erstaunt. Mich hat aber gefreut, dass der Kanton Zürich ein grosses Interesse daran hat, wie es um dieses Thema in der Zürcher Bevölkerung steht.
Es gibt ja viele gute Gründe, zur reformierten Kirche zu gehören.
In der Studie wird der Stellenwert von Religiosität und Spiritualität ergründet. Lässt sich denn zwischen den beiden Gebieten eine klare Trennlinie ziehen?
Das hängt davon ab, was man unter Religion und Spiritualität versteht. Viele Menschen verstehen unter Spiritualität eine Haltung, die sich klar von einer bestimmten Institution und bestimmten Glaubensinhalten abgrenzt und individuell geprägt ist.
Viele religiöse Menschen, die einer Kirche oder einer Moscheegemeinden angehören, würden aber auch sagen, sie hätten eine individuelle Haltung in ihrem Glauben und machten eine individuelle Erfahrung, die sich nicht an Dogmen ausrichtet. Deshalb laufen die Linien hier jeweils quer.
Ist es nicht erstaunlich, dass sich rund die Hälfte der reformierten Zürcherinnen und Zürcher als säkular bezeichnet? Man gehört eigentlich einer Kirche an, ist aber trotzdem weder religiös noch spirituell. Wie geht das zusammen?
Es gibt ja viele gute Gründe, zur reformierten Kirche zu gehören. Zum Beispiel, weil man die Arbeit wertschätzen möchte, die sie etwa in sozialen Bereichen leistet.
Wenn man das unterstützen möchte, sagt man vielleicht: Ich zahle gerne meinen Beitrag. Aber mit der Frömmigkeit, die vielleicht hinter dieser Kirche steht oder mit ihr Glaubenssätzen, kann ich nichts anfangen.
Grundsätzlich lassen sich die Tendenzen auf andere Städte übertragen.
Fast ein Viertel der Menschen, die sich als konfessionslos bezeichnen, bezeichnen sich als spirituell. Wie lässt sich das erklären?
Das ist die umgekehrte Seite der Medaille. Spiritualität wird ja von vielen Menschen als eine sehr individuelle persönliche Haltung, vielleicht auch Praxis verstanden. Da möchte man sich nicht unbedingt an eine bestimmte Tradition oder an eine bestimmte Gemeinschaftsformen wie eine Kirche binden.
Man sagt: Ich für mich bin interessiert an existenziellen Fragen. Ich für mich praktiziere das eine oder andere Ritual. Ich habe einen Sinn für das, was über das unmittelbar Materielle hinausgeht. Aber ich glaube nicht an die Glaubenssätze einer bestimmten Religion.
Die Zahlen der Studie des statistischen Amtes des Kantons Zürich beziehen sich ja auf Zürich. Lassen sich denn da auch Erkenntnisse für die ganze Schweiz daraus ziehen?
Da muss man immer vorsichtig sein, weil es sicher im Tessin anders und auch in der französischsprachigen Schweiz. Aber grundsätzlich lassen sich die Tendenzen auf andere Städte übertragen, die urban geprägt sind, wie das in Zürich der Fall ist.
Das Gespräch führte Gisela Feuz.