Die Mehrzweckhalle in Gettnau LU ist an diesem Samstagabend fast ausverkauft. Thomas Dubach sitzt vorn auf der Bühne an einem Mikrofon und zieht aus einem schwarzen Stoffsack langsam eine Zahl nach der anderen und liest vor: «Achtunddreissig! Nullsechs! Achtzehn!»
400 Lotto-Fans halten den Atem an und warten darauf, dass der Speaker die «richtigen» Zahlen zieht, also die, die sie auf ihrer Lotto-Karte vor sich haben.
Es ist nach 22 Uhr, das Lotto der Läuferriege Gettnau ist seit mehr als zwei Stunden im Gang und es geht um eines der Highlights an diesem Abend, ein Goldvreneli im Wert von 454 Franken. Die Spannung ist mit Händen zu greifen. Jede und jeder im Saal hofft auf das richtige Quäntchen Glück.
Das Kribbeln
«Es ist dieses Kribbeln während der Ziehung», sagt der 34-jährige Thomas aus dem Nachbarort Grosswangen, «diese Spannung, ob die nächste Zahl tatsächlich die ist, die auf der Karte noch offen ist. Man braucht zum Beispiel noch die Fünfundsechzig, und dann zieht der vorne die fünfund … -vierzig!»
Michelle, Thomas’ Freundin, findet: Genau wegen dieser Spannung sei das Lottospielen ihr Hobby geworden. «Das macht Spass, auch wenn man mal nicht gewinnt.» Die beiden gehen regelmässig an einen Lottoabend wie diesen hier in Gettnau. Und sie setzen dabei – wie viele im Saal – auf ihre Glückszahlen.
Glückszahlen und Glücksbringer
Das mit dem Glück! Den meisten Teilnehmenden dient ein Geburtsdatum als Glückszahl, wenn sie ihre Spielkarten aussuchen. Das eigene, das der Freundin, der Enkel. Viele haben aber auch Glücksbringer dabei, ein Foto, Maskottchen, wieder andere haben ihr Glücksritual.
«Wenn ich zum Match nur noch eine Zahl offen habe», erzählt eine Teilnehmerin beim Eingang in die Halle lachend, «nehme ich die Karte unters Füdli». Das habe ihr schon mehrmals Glück gebracht – an einem anderen Lotto habe sie kürzlich einen Gutschein im Wert von 500 Franken gewonnen.
«Handfeste» Preise
Ein Gutschein im Wert von 500 Franken – für ein Vereinslotto wie das der Läuferriege Gettnau ein stolzer Preis. Meistens geht es an diesem Abend bescheidener zu. Es gibt Chäsbrättli zu gewinnen, oder Gutscheine für ein Frühstück in einer Landbeiz, ein Rollschinkli oder auch mal ein Gemüsekorb.
Jonas Hodel, Vereinspräsident und OK-Chef hier am Lottoabend der Läuferriege, sagt, das seien, auch bei den jüngeren Teilnehmenden, immer noch die beliebtesten Preise. «Wenn einer schon ein Tablet zu Hause hat, will er kein Zweites. Aber einen Lebensmittelpreis, das nehmen alle immer wieder gerne, egal ob jung oder alt.»
An einem der langen Tische in der Mehrzweckhalle spielt eine Gruppe von sechs jungen Frauen und Männern, alle geschätzt Mitte 20. Eine von ihnen hat schon früh am Abend eine Lebensmitteltasche im Wert von 60 Franken gewonnen.
Es sind eben keine Millionen, die man gewinnen kann, «dafür etwas Handfestes, das ich hier gleich bekomme und mit nach Hause nehmen kann», freut sich die junge Frau. «Etwas, woran man sich auch nächste Woche noch erinnert», sagt eine andere Spielerin.
Früher wurde gemetzget
Früher, erzählt einer der Helfer beim Lottoabend, hätte der Verein im Herbst vier Säue gekauft und zum Metzger gebracht. Alle Produkte, die diese «Metzgete» hergab, wurden als Preise beim Lotto verteilt.
«Auch wenn viele Leute Fleischpreise immer noch attraktiv finden», sagt Esther Stöckli, sie ist für den Einkauf der Preise zuständig, «nur Fleisch wäre heute schon nicht mehr denkbar». Etwas diverser muss es schon sein. Darum ist zum Beispiel auch eine Gemüsetasche mit auf der Liste.
Ein Gemeinschaftserlebnis – auch für Junge
Der Lottoabend in Gettnau dauert bis weit über Mitternacht. Der 35 Jahre alte Roger gehört auch zu den Lotto-Enthusiasten hier im Saal. Seine Freundin und er sind aus dem Aargau angereist, für einen Lottoabend fährt er weit. «80 Kilometer pro Weg waren es heute», sagt er. Es sind die Preise, die er hier attraktiv findet, aber es geht für ihn noch um etwas anderes. Das Erlebnis in Gemeinschaft ist für ihn das Besondere am Vereinslotto.
«Beim Zahlenlotto füllst du einen Zettel aus und gibst ihn am Kiosk ab, fertig. Hier ist man mit anderen zusammen, sieht einander, das macht mehr Spass.» Ein junges Paar schwärmt am Ende des Abends beim Hinausgehen ebenso: «Man lernt andere Leute kennen, kommt miteinander ins Gespräch, das ist viel besser als allein zu Hause am PC.»
Spiel für einen guten Zweck
Der Aspekt des gemeinschaftlichen Erlebnisses ist auch aus Sicht von Geraldine Holenweger ein wichtiges Motiv für die Teilnahme an einem Vereinslotto. Die ausgebildete Betriebswirtschafterin forscht an der Universität Bern in der Abteilung «Consumer Behavior & Behavior Change». Sie untersucht also die Frage, wie sich Konsumentinnen und Konsumenten in bestimmten Situationen verhalten und warum.
«Wir verbringen immer mehr Zeit an digitalen Geräten und weniger im direkten Austausch mit anderen. Das Lotto im Saal ist ein soziales Event, ein gemeinsames Erlebnis.» Man sitzt mit anderen zusammen, wird auch von anderen wahrgenommen, vor allem, wenn man gewinnt.
Und die, die nicht gewinnen? Die machen eine Art innere Buchhaltung, sagt Geraldine Holenweger, der Fachbegriff dazu lautet «Mental Accounting». «Hier geht es darum, dass wir beim Lotto – übrigens auch beim Zahlenlotto – unsere Ausgaben innerlich nicht auf dem Konto ‹Glücksspiel› verbuchen, sondern auf dem Konto ‹Für einen guten Zweck›.»
Auch das ist etwas, was viele am Lotto hier in Gettnau so sehen. Sollte am Ende des Abends kein Gewinn herausschauen, kommt das Geld wenigstens dem Verein zugute. Eben einem gemeinnützigen Zweck.