- Mitte der 1990er-Jahre begann in Argentinien der Soja-Boom – gestützt auf genmanipuliertes Saatgut und den Unkrautvernichter Glyphosat.
- In den Anbauregionen nehmen Mangelernährung, Krankheiten und Fehlgeburten zu.
- «Wir sind Teil eines Feldversuches geworden», sagt der argentinische Fotojournalist Pablo Piovano.
Agrargifte mit schlimmen Folgen
Die Hände von Alfredo Cerán: Seine Fingernägel sind verbrannt. Er leidet an einer nicht-alkoholbedingten Leberzirrhose – neun Jahre hatte er auf einer Soja-Plantage gearbeitet.
Der eingefallene Brustkorb von Fabián Tomasi: Rippen und Knochen ragen hervor, die dünnen Arme hängen kraftlos herab – der Farmarbeiter betankte Sprühflugzeuge. Die Haut des kleinen Lucas Techeira: geschuppt, wie bei einem Reptil – seine Eltern spritzen Pestizide auf Tabakfeldern.
Das sind nur drei von Dutzenden Geschichten, die Pablo Piovano auf Reisen durch die Anbauregionen seines Heimatlandes dokumentiert hat. «Ich wollte in meiner Arbeit zeigen, welche Folgen der massive Einsatz von Agrargiften auf die Menschen hat», sagt der argentinische Fotojournalist.
300 Millionen Liter Chemikalien
In der Kernzone leben 13'000 Menschen, dort werden über 300 Millionen Liter an Chemikalien verspritzt – eine der höchsten Quoten an Pestiziden pro Person weltweit. Es sind Substanzen wie Glyphosat, Endosulfat, Acetochlor oder 2,4-D, das als Agent Orange schon im Vietnamkrieg eingesetzt wurde.
Hergestellt von Unternehmen wie Monsanto oder Dow Chemical. Sie sollen Unkraut und Schädlinge abtöten und den Ertrag steigern. «Ein Produkt, das hergestellt wurde, um zu töten, kann niemandem gut tun», sagt Piovano.
Druck der Agrarlobby
Ob Pestizide wie Glyphosat tatsächlich Krebs und andere Krankheiten auslösen, ist umstritten. Studien dazu gibt es genug – mit unterschiedlichen Befunden. Bewiesen werden müsste ohnehin vielmehr, dass die Chemikalien nicht gefährlich seien, findet Pablo Piovano.
Doch der Druck der Agrarlobby ist enorm. Korrekt angewandt sei «Glyphosat weniger toxisch als die Sonnencreme auf der Haut deines Kindes», liess ein Sprecher des Agrarunternehmens Monsanto kürzlich vor Journalisten verlauten.
Piovano schüttelt den Kopf: «Dieser Diskurs der korrekten Anwendung, das funktioniert in der Realität nicht. Nicht in Länder wie Argentinien, wo auf gigantischen Plantagen Monokulturen flächendeckend besprüht werden.»
Arbeiter ohne Schutzkleidung
Seine eindrucksvollen schwarz-weiss Fotografien sind stummen Zeugnisse dieser schleichenden Katastrophe. Sprühflugzeuge, die direkt über Landschulen fliegen, ein einziger Windstoss treibt die Chemie-Ladung Kilometerweit übers Land.
Arbeiter ohne Schutzkleidung, Kanister, aus denen Reste ins Grundwasser sickern: Die Bilder erzählen auch von der Armut und der Isolation vieler Gemeinden auf dem Land, wo das nächste Krankenhaus weit entfernt ist, die Bildung gering.
«Nicht die Gesundheit, sondern der Profit steht im Mittelpunkt dieses Agrarmodells», sagt Piovano.
«Teil eines Feldversuches»
Mitte der 1990er-Jahre begann in Argentinien der Soja-Boom – gestützt auf genmanipuliertes Saatgut und den dazugehörigen Unkrautvernichter Glyphosat, Markenname «Roundup».
Das Gutachten zur Zulassung soll Hersteller Monsanto damals praktisch selbst verfasst haben. Richtig los ging es dann nach der schweren Wirtschaftskrise 2001, auf dem Weltmarkt explodierten die Preise, Chinas Rohstoffhunger trieb Dollar in die leere Staatskasse.
Die Chemikalien bleiben im Körper
Heute füttern Argentiniens Exporte Mastvieh weltweit. In den Anbauregionen dagegen nehmen Mangelernährung, Krankheiten und Fehlgeburten zu. «Wir sind Teil eines Feldversuches geworden», sagt Fotojournalist Piovano.
Niemand könne mit Sicherheit sagen, welche Folgen all die Agrargifte noch haben werden. «Was wir wissen, dass sich die Chemikalien nicht abbauen, sondern im Körper bleiben, ob du reich oder arm bist und wo du wohnst, das ist dem Gift egal.»
Hinweis:
In einer früheren Version des Artikels wurde fälschlicherweise Syngenta als Hersteller von den Wirkstoffen Glyphosat, Endosulfat, Acetochlor und 2,4-D bezeichnet. Dies ist falsch. Syngenta stellt keinen dieser Wirkstoffe selbst her.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 25.10.2017,11:29 Uhr