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Die Geschichte einer Physiker-Freundschaft
Aus Wissenschaftsmagazin vom 14.08.2021. Bild: Wikimedia
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Goudsmit und Heisenberg Eine Physiker-Freundschaft, die am Holocaust zerbrach

Der Spin der Elementarteilchen ist schwer zu verstehen. Genauso wie die verstrickte Beziehung zwischen Spin-Entdecker Samuel Goudsmit und dem deutschen Quanten-Physiker Werner Heisenberg. Eine Freundschaft, die an der Zeit und am Holocaust zerbricht.

Die Geschichte von Werner Heisenberg und Samuel Goudsmit ist die Geschichte zweier ehemaliger Wunderkinder, die sich ein Leben lang anziehen und abstossen. Sie gehören zu den so genannten Knabenphysikern. So werden die blutjungen Wissenschaftler genannt, die anfangs des 20. Jahrhunderts die Physik neu erfinden.

Goudsmit entdeckt mit 23 Jahren den Spin der Elementarteilchen. Heisenberg formuliert mit 24 die Quantenmechanik und wenig später die Unschärferelation. Bahnbrechende Entdeckungen bis heute.

Ein Mann mit Anzug und Kravatte
Legende: Samuel Goudsmit fand heraus, dass Elektronen einen Drehimpuls haben – eine bahnbrechende Entdeckung. KEYSTONE/THE GRANGER COLLECTION

Zwei Studenten entdecken den Spin

Samuel Goudsmit ist noch Student, als er 1925 an einem heissen Augustnachmittag auf den Spin kommt. Zusammen mit seinem Studienkollegen George Uhlenbeck entwickelt er die Idee, dass Elektronen einen Drehimpuls haben: einen Spin.

Der Spin – ein mysteriöser Drehimpuls ohne Drehung

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Es ist das Elektron, das Samuel Goudsmit und George Uhlenbeck 1925 auf den Spin bringt. Die beiden Physikstudenten rätseln, warum Wasserstoff-Elektronen in der Nähe eines Magnets plötzlich zwei statt einem Lichtstreifen ausstrahlen.

Sie wissen: Ein Magnet wirkt nur dann, wenn er auf einen anderen Magnet trifft. Und sie folgern: Auf der Seite der Elektronen muss auch ein Magnet sein. Einen, den diese selbst erzeugen. Und wie wird ein Magnet erzeugt? Indem eine elektrisch geladene Masse sich sehr schnell dreht.

Goudsmith und Uhlenbeck kommen zum Schluss: Elektronen müssen – zusätzlich zu ihrer Masse und Ladung – einen Drehimpuls haben. Einen Spin.
Spannend, aber nicht korrekt. Denn später zeigt sich: Elektronen haben gar keinen internen Drehimpuls. Aber irgendeine rätselhafte Eigenschaft, die wirkt wie einer. Und diese mysteriöse Eigenschaft heisst noch heute Spin – englisch für Drehung oder Drall. Auch wenn sich nichts dreht.

Diese Entdeckung schüttelt die damalige Physiker-Community tüchtig durch. Sie löst einige quantenphysikalische Rätsel. Etwa warum Elektronen der starken Anziehung des Atomkerns nicht erliegen, sondern trotz Sog unbeirrt um diesen herum sausen. Nur so ist letztlich die Ausdehnung von Atomen und damit die Existenz von Materie überhaupt zu erklären.

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Der Spin einer Männerfreundschaft im Sog der Elementarteilchen 1/2
35:38 min Bild: SRF
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Von Null auf 100 im Physiker-Olymp

Die Entdeckung des Spins macht die beiden niederländischen Physikstudenten Goudsmit und Uhlenbeck auf einen Schlag berühmt. Grössen wie Albert Einstein oder Niels Bohr wollen mit ihnen sprechen und der junge Werner Heisenberg schreibt Goudsmit: «Ihre mutige Note interessiert mich so sehr, dass ich gerne einige Fragen an Sie darüber richten möchte...»

Ein Mann im Pulli, schwarzweiss
Legende: Werner Heisenberg erfand anfangs des 20. Jahrhunderts die Physik neu. Mit 24 formulierte er die Quantenmechanik und wenig später die Unschärferelation. Friedrich Hund

Das ist der Anfang einer Freundschaft. Und der Anfang einer grossen Karriere. Samuel Goudsmit wird frisch ab Studium 1927 an die renommierte Universität von Michigan in Ann Arbor berufen. Werner Heisenberg – bereits als 32-Jähriger für seine Begründung der Quantenmechanik und der Unschärferelation mit dem Nobelpreis geehrt – reist regelmässig zu Summer-Schools nach Ann Arbor. Dann wohnt er jeweils bei den Goudsmits. Die Freundschaft wir enger.

Samuel Goudsmit braucht Heisenbergs Hilfe

Im Sommer 1939 ist Werner Heisenberg zum letzten Mal auf Besuch bei den Goudsmits. Kurz darauf bricht der Zweite Weltkrieg aus. Samuel Goudsmit ist klar: Seine Eltern sind als Juden in Europa nicht mehr sicher. Doch die Invasion der Deutschen in Holland macht ihre Ausreise unmöglich.

Die Quantenmechanik von Heisenberg

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Die Theorie der Quantenmechanik verdanken wir Werner Heisenbergs Heuschnupfen. Heisenberg versucht 1925 seine Pollenallergie auf der Insel Helgoland los zu werden und entwirft innerhalb weniger Tage den theoretischen Rahmen für die bis dahin vereinzelt bekannten quantenphysikalischen Phänomene.

Der 24-jährige hervorragende Rechner Heisenberg bedient sich der klassischen Mechanik des 18. Und 19. Jahrhunderts und deutet diese um. Die klassische Mechanik beschreibt die Bewegungsphänomene der sichtbaren Welt: Warum ein Apfel fällt, wie er fällt. Warum ein Ball fliegt, wie er fliegt etc.

Heisenberg nimmt also nimmt Formeln und übersetzt sie mathematisch – Formelzeichen für Formelzeichen – in eine neue Theorie. Eine Theorie für die Welt des Unsichtbaren. Mit Heisenbergs Quantenmechanik lässt sich das Verhalten der Atome und ihrer Bestandteile verstehen. Warum z.B. Elementarteilchen einen Drehimpuls haben ohne zu drehen oder warum Elektronen der Anziehung des Atomkerns widerstehen.

1943 werden Marianne und Isaac Goudsmit deportiert. Goudsmit hofft auf Heisenbergs Hilfe. Dieser schreibt schnell zurück, aber nicht wie erwartet: Es würde es bedauern, sollte den Eltern Goudsmit etwas passieren. Aber er könne nichts tun.

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Der Spin einer Männerfreundschaft im Sog der Elementarteilchen 2/2
36:59 min Bild: SRF
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Der Verrat einer Freundschaft

Marianne und Isaac Goudsmit kommen am 10. Februar 1943 im Vernichtungslager Auschwitz an und werden einen Tag später vergast. Die Freundschaft Goudsmit und Heisenberg zerbricht.

Trotz Angeboten renommierter Universitäten in den USA bleibt Heisenberg während der gesamten NS-Diktatur in Deutschland. Mehr noch: Er leitet im Zweiten Weltkrieg das Atomprogramm der Nationalsozialisten, das «Uran-Projekt».

Quantenphysik – gegen den menschlichen Verstand

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Die Welt im atomaren und subatomaren Bereich ist wunderlich und manchmal unheimlich. Hier können Teilchen an zwei Orten gleichzeitig sein. Hier gibt es Wirkungen ohne Ursachen und Dinge, die nur existieren, wenn man sie anschaut.

Was Physikerinnen beobachten, widerspricht dem menschlichen Verstand, ist mit unseren Sinnen nicht zu fassen und überforderte selbst Albert Einstein. Das Phänomen der Quantenverschränkung bezeichnete er schlicht als «spukhafte Fernwirkung».
Die Verschränkung von zwei oder mehreren Objekten war von der Quantentheorie vorhergesagt worden.

Sie besagt, dass zwei Teilchen augenblicklich miteinander kommunizieren können, ohne Verzögerung. Wenn eins der Teilchen seinen Zustand ändert, tut es das andere zeitgleich auch. Selbst wenn es sich am anderen Ende des Kosmos befindet.

Die Quantenverschränkung ist eines der grundlegendsten Phänomene der Quantenphysik und gleichzeitig eins, das unserer Intuition zutiefst widerstrebt

Heisenberg auf dünnem Eis im NS-Regime

Diese Karriere Heisenbergs im NS-Regime war nicht unbedingt vorgezeichnet. Denn die Nationalsozialisten lehnen die moderne Physik ab – die Abstraktion generell und erst recht die Relativitätstheorie des jüdischen Albert Einstein. Heisenberg wird deswegen 1937 von der Gestapo verhört, dann aber als unbedenklich entlassen. Er darf die Relativitätstheorie lehren, aber Einsteins Namen nicht nennen.

Heisenberg selbst ist kein Nationalsozialist, aber national-konservativ. Vielleicht auch nationalistisch. Sein Ziel: Die deutsche Forschung, die deutsche Physik über die NS-Zeit und den Zweiten Weltkrieg retten.

Samuel Goudsmit kommt als Fahnder nach Europa zurück

Doch im Juni 1944 mit der Invasion der Alliierten in der Normandie dreht der Wind. Ihnen auf den Fersen folgt ein Spähtrupp mit einer besonderen Mission. Er soll herausfinden, ob die Deutschen an einer Atombombe arbeiten und die beteiligten Atomphysiker festnehmen – vor allem den wichtigsten unter ihnen: Werner Heisenberg. Die Mission heisst Alsos und ihr wissenschaftlicher Leiter: Samuel Goudsmit.

Im Windschatten der vorrückenden alliierten Truppen arbeitet er sich quer durch die Laborlandschaft der deutschen Atomphysiker. Was er und seine Leute finden, macht nicht den Eindruck, als könnten die Deutschen Atomwaffen bauen. Die meisten im Land verbliebenen Physiker sind zweite Garde und das Projekt unterfinanziert.

Die Unschärferelation

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Zwei Jahre nachdem Werner Heisenberg die Quantenmechanik begründet hat, tut er seinen zweiten grossen Wurf.

Mit der Unschärferelation erklärt der 26-jährige Überflieger im Jahr 1927, warum in der Quantenphysik jeweils nur eine von zwei Messgrössen eines Teilchens exakt gemessen werden kann. Also entweder sein Ort oder sein Impuls – aber nie beides gleichzeitig.

Eine ähnliche Unschärfe existiert auch zwischen Energie und Zeit. Dafür sind nicht etwa Ungenauigkeiten verantwortlich, wie sie bei jeder Messung auftreten. Vielmehr ist die Unschärfe ist ein Prinzip. Sie gehört ganz einfach zur Natur der Quantenphysik.

Wo ist Heisenberg und wo die Atombombe?

Doch Goudsmit fiebert der Eroberung der Anlagen im Süden Deutschlands entgegen. Dorthin haben die Deutschen ihren Versuchsreaktor samt Wissenschaftlern verlegt – aufs Land, sicher vor Bombardierungen. Nach Hechingen in der Nähe von Tübingen.

Schwarzweissbild mit 5 Männern in Anzügen vor einem Haus im Garten
Legende: Das Bild, das auf Heisenbergs Arbeitstisch in Hechingen stand (links aussen Goudsmit, in der Mitte Heisenberg). Getty Images/Hulton Archive

Als Goudsmit Heisenbergs Labor in Hechingen betritt, trifft er zwar nicht auf seinen früheren Freund, aber auf ein Zeugnis ihres vergangenen gemeinsamen Lebens: Auf Heisenbergs Arbeitstisch steht eine Fotografie – darauf zu sehen: Werner Heisenberg mit Samuel Goudsmit. Aufgenommen 1939 beim letzten Besuch in Ann Arbor.

Auf dem Rad vor den Alliierten geflüchtet

Die Suche nach Heisenberg endet in dessen Ferienhaus in den Bayerischen Alpen. Heisenberg war mit dem Rad von Hechingen nach Urfeld geflüchtet – 270 Kilometer – zu seiner Frau und seinen kleinen Kindern. Hier wartet er auf die Alliierten.

Am 1. Mai 1945 – eine Woche vor Kriegsende – fahren die Leute der Alsos-Mission vor. Werner Heisenberg steht unter dem Vordach und heisst die «Gentlemen» willkommen. Frau und Kinder geben die Hand.

Bücher zum Thema

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  • Samuel Goudsmit: Alsos. Henry Schuman Inc. 1947
  • Martijn van Calmthout:
    Sam Goudsmit and the Hunt for Hitlers Atom Bomb. Prometheus Books. 2018
  • Real Quanta. Simplifying Quantum Physics for Einstein and Bohr. Dundrun Press. 2018
  • Alexander Blum:
    Heisenberg’s 1958 Weltformel and the Roots of Post-Empirical Physics. Springer. 2019

Vom genialen Wissenschaftler zum Verhörten

Heisenberg breitet die Unterlagen des Atomprojekts auf dem Tisch aus. Er freut sich, dass er von Samuel Goudsmit persönlich verhört werden soll. Er will erzählen, was er mit dem Atomprogramm erreicht hat. Wie weit die Deutschen auf dem Weg zur Atombombe gekommen sind.

Was er da noch nicht weiss: Die Amerikaner haben die Bombe schon. Sie werden sie drei Monate später zum ersten Mal abwerfen.

Goudsmit und Heisenberg nach dem Krieg

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Die Lebenswege von Samuel Goudsmit (1902, Den Haag, bis 1978, Reno USA) und Werner Heisenberg (1901, Würzburg bis 1976, München) bleiben auch nach dem Krieg miteinander verwoben. Mehr noch: verstrickt.

Die beiden schenken sich in den Nachkriegsjahren nichts. Sie attackieren sich öffentlich in Zeitungsartikeln. 1950 treffen sie sich zum ersten Mal seit den Verhören. Heisenberg möchte mit Goudsmit über «spannende Physik» reden. Er reist in die USA. Nach dem Treffen übernachtet er im Hotel. Nicht mehr bei den Goudsmits wie früher.

Die beiden haben immer noch viel gemeinsam. Im Kalten Krieg warnen sie beide vor den Gefahren eines Atomkriegs. Goudsmit setzt sich in den USA gegen den Ausbau des amerikanischen Atomprogramms ein. Heisenberg wehrt sich 1957 zusammen mit 17 weiteren westdeutschen Wissenschaftlern mit dem Göttinger Manifest gegen die atomare Bewaffnung der Bundeswehr.

Werner Heisenberg stirbt 75-jährig in seiner Heimatstadt München an Krebs. Seine früherer Freund Samuel Goudsmit erliegt zwei Jahre später, 76-jährig, einem Herzinfarkt. Man findet ihn auf einem Parkplatz der Universität Reno tot in seinem Auto.

Wissenschaftsmagazin, 14.8.2021, Radio SRF 2 Kultur, 12.40 Uhr ; 

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