Die Geschichte von Werner Heisenberg und Samuel Goudsmit ist die Geschichte zweier ehemaliger Wunderkinder, die sich ein Leben lang anziehen und abstossen. Sie gehören zu den so genannten Knabenphysikern. So werden die blutjungen Wissenschaftler genannt, die anfangs des 20. Jahrhunderts die Physik neu erfinden.
Goudsmit entdeckt mit 23 Jahren den Spin der Elementarteilchen. Heisenberg formuliert mit 24 die Quantenmechanik und wenig später die Unschärferelation. Bahnbrechende Entdeckungen bis heute.
Zwei Studenten entdecken den Spin
Samuel Goudsmit ist noch Student, als er 1925 an einem heissen Augustnachmittag auf den Spin kommt. Zusammen mit seinem Studienkollegen George Uhlenbeck entwickelt er die Idee, dass Elektronen einen Drehimpuls haben: einen Spin.
Diese Entdeckung schüttelt die damalige Physiker-Community tüchtig durch. Sie löst einige quantenphysikalische Rätsel. Etwa warum Elektronen der starken Anziehung des Atomkerns nicht erliegen, sondern trotz Sog unbeirrt um diesen herum sausen. Nur so ist letztlich die Ausdehnung von Atomen und damit die Existenz von Materie überhaupt zu erklären.
Von Null auf 100 im Physiker-Olymp
Die Entdeckung des Spins macht die beiden niederländischen Physikstudenten Goudsmit und Uhlenbeck auf einen Schlag berühmt. Grössen wie Albert Einstein oder Niels Bohr wollen mit ihnen sprechen und der junge Werner Heisenberg schreibt Goudsmit: «Ihre mutige Note interessiert mich so sehr, dass ich gerne einige Fragen an Sie darüber richten möchte...»
Das ist der Anfang einer Freundschaft. Und der Anfang einer grossen Karriere. Samuel Goudsmit wird frisch ab Studium 1927 an die renommierte Universität von Michigan in Ann Arbor berufen. Werner Heisenberg – bereits als 32-Jähriger für seine Begründung der Quantenmechanik und der Unschärferelation mit dem Nobelpreis geehrt – reist regelmässig zu Summer-Schools nach Ann Arbor. Dann wohnt er jeweils bei den Goudsmits. Die Freundschaft wir enger.
Samuel Goudsmit braucht Heisenbergs Hilfe
Im Sommer 1939 ist Werner Heisenberg zum letzten Mal auf Besuch bei den Goudsmits. Kurz darauf bricht der Zweite Weltkrieg aus. Samuel Goudsmit ist klar: Seine Eltern sind als Juden in Europa nicht mehr sicher. Doch die Invasion der Deutschen in Holland macht ihre Ausreise unmöglich.
1943 werden Marianne und Isaac Goudsmit deportiert. Goudsmit hofft auf Heisenbergs Hilfe. Dieser schreibt schnell zurück, aber nicht wie erwartet: Es würde es bedauern, sollte den Eltern Goudsmit etwas passieren. Aber er könne nichts tun.
Der Verrat einer Freundschaft
Marianne und Isaac Goudsmit kommen am 10. Februar 1943 im Vernichtungslager Auschwitz an und werden einen Tag später vergast. Die Freundschaft Goudsmit und Heisenberg zerbricht.
Trotz Angeboten renommierter Universitäten in den USA bleibt Heisenberg während der gesamten NS-Diktatur in Deutschland. Mehr noch: Er leitet im Zweiten Weltkrieg das Atomprogramm der Nationalsozialisten, das «Uran-Projekt».
Heisenberg auf dünnem Eis im NS-Regime
Diese Karriere Heisenbergs im NS-Regime war nicht unbedingt vorgezeichnet. Denn die Nationalsozialisten lehnen die moderne Physik ab – die Abstraktion generell und erst recht die Relativitätstheorie des jüdischen Albert Einstein. Heisenberg wird deswegen 1937 von der Gestapo verhört, dann aber als unbedenklich entlassen. Er darf die Relativitätstheorie lehren, aber Einsteins Namen nicht nennen.
Heisenberg selbst ist kein Nationalsozialist, aber national-konservativ. Vielleicht auch nationalistisch. Sein Ziel: Die deutsche Forschung, die deutsche Physik über die NS-Zeit und den Zweiten Weltkrieg retten.
Samuel Goudsmit kommt als Fahnder nach Europa zurück
Doch im Juni 1944 mit der Invasion der Alliierten in der Normandie dreht der Wind. Ihnen auf den Fersen folgt ein Spähtrupp mit einer besonderen Mission. Er soll herausfinden, ob die Deutschen an einer Atombombe arbeiten und die beteiligten Atomphysiker festnehmen – vor allem den wichtigsten unter ihnen: Werner Heisenberg. Die Mission heisst Alsos und ihr wissenschaftlicher Leiter: Samuel Goudsmit.
Im Windschatten der vorrückenden alliierten Truppen arbeitet er sich quer durch die Laborlandschaft der deutschen Atomphysiker. Was er und seine Leute finden, macht nicht den Eindruck, als könnten die Deutschen Atomwaffen bauen. Die meisten im Land verbliebenen Physiker sind zweite Garde und das Projekt unterfinanziert.
Wo ist Heisenberg und wo die Atombombe?
Doch Goudsmit fiebert der Eroberung der Anlagen im Süden Deutschlands entgegen. Dorthin haben die Deutschen ihren Versuchsreaktor samt Wissenschaftlern verlegt – aufs Land, sicher vor Bombardierungen. Nach Hechingen in der Nähe von Tübingen.
Als Goudsmit Heisenbergs Labor in Hechingen betritt, trifft er zwar nicht auf seinen früheren Freund, aber auf ein Zeugnis ihres vergangenen gemeinsamen Lebens: Auf Heisenbergs Arbeitstisch steht eine Fotografie – darauf zu sehen: Werner Heisenberg mit Samuel Goudsmit. Aufgenommen 1939 beim letzten Besuch in Ann Arbor.
Auf dem Rad vor den Alliierten geflüchtet
Die Suche nach Heisenberg endet in dessen Ferienhaus in den Bayerischen Alpen. Heisenberg war mit dem Rad von Hechingen nach Urfeld geflüchtet – 270 Kilometer – zu seiner Frau und seinen kleinen Kindern. Hier wartet er auf die Alliierten.
Am 1. Mai 1945 – eine Woche vor Kriegsende – fahren die Leute der Alsos-Mission vor. Werner Heisenberg steht unter dem Vordach und heisst die «Gentlemen» willkommen. Frau und Kinder geben die Hand.
Vom genialen Wissenschaftler zum Verhörten
Heisenberg breitet die Unterlagen des Atomprojekts auf dem Tisch aus. Er freut sich, dass er von Samuel Goudsmit persönlich verhört werden soll. Er will erzählen, was er mit dem Atomprogramm erreicht hat. Wie weit die Deutschen auf dem Weg zur Atombombe gekommen sind.
Was er da noch nicht weiss: Die Amerikaner haben die Bombe schon. Sie werden sie drei Monate später zum ersten Mal abwerfen.
Forscher schlagen sich die Nächte im Labor um die Ohren, Forscherinnen klettern auf Gletscher und Gipfel. Dank ihnen verstehen wir das Klima besser, bekommen immer schnellere Computer und müssen uns überlegen, ob wir wirklich Gentechbabies wollen.Das Wissenschaftsteam von Radio SRF taucht in die Welt der Forscherinnen und Forscher ein und bringt ihre Geschichten mit: einfach erzählt, Neugier genügt.
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