Wer heute im «Kurhaus Bergün» übernachten und im Speisesaal unter umwerfenden Jugendstil-Leuchtern essen will, muss Glück haben. Denn oft ist das Hotel ausgebucht. Vor allem der Speisesaal wird für Feierlichkeiten gerne genutzt.
Im Kurhaus herrscht ein regelrechter Hochzeitstourismus. Das freut nicht nur die Direktion: Es gibt Arbeit für 30 Festangestellte und die umliegenden Bergbauernbetriebe liefern Gemüse und Fleisch. Das Kurhaus ist längst einer der wichtigsten Arbeitgeber in der Region.
Wachgeküsstes Grand Hotel
Dass das «Kurhaus Bergün» wieder im Glanz der Belle Époque erstrahlt und floriert, ist dem Basler Architekten Heini Dalcher und einer Gruppe enthusiastischer Mitstreiter zu verdanken. Sie haben den Wert des historischen Hauses erkannt und der «Gemeinnützigen Genossenschaft für Familienherbergen» das Gebäude im Jahr 2001 abgekauft.
Die Geschichte des Kurhauses beginnt im September 1904, als die Investoren die «Vereinigte Hotel Bergün AG» gründeten. Sie waren überzeugt, dass sich mit einem Grand Hotel in Bergün viel Geld machen liesse.
Die eben eröffnete Eisenbahnlinie von Thusis ins Engadin würde viele Gäste nach Bergün bringen, da ein Zwischenhalt aus medizinischen Gründen nötig sei. Wer von 700 Metern hoch bis auf 1.800 Meter reise, müsse sich dringend akklimatisieren.
Das Kurhaus wurde nach den Plänen des Zürcher Architekten Franz Jost Huwyler-Boller gebaut. Bereits zwei Jahre später wurde das Haus eröffnet. Gestalterisch war das Kurhaus eine wilde Mischung aus Barock und Renaissance und innen mit viel Jugendstil.
Bieder statt nobel
Doch chronische Finanznöte plagten das Kurhaus. 1950 wurde das Kurhaus an die Gemeinde Bergün verkauft und diese vermietete es an die «Gemeinnützige Genossenschaft für Familienherbergen». In den 1950er- und 60er-Jahren gehörte die Genossenschaft zu den grössten Anbietern für günstige Familien-Ferienwohnungen in der Schweiz.
Die «Genossenschaft für Familienherbergen» begann das Grand Hotel familientauglich umzugestalten: Hotelzimmer wurden zu Küchen umfunktioniert, der prächtige Speisesaal wurde mit einer Wand zweigeteilt. Es entstand ein Esszimmer und ein Massenlager für Knaben. Das einst noble Entrée diente als Kinderspielplatz. Viele Wände wurde mit Hartfaserplatten abgedeckt. Es entstand ein Mix aus verblasster architektonischer Eleganz und sparsamer Biederkeit.
Reparieren statt renovieren
Diese merkwürdige Mischung zog viele magisch an. Als die Familienherbergen-Genossenschaft finanziell ins Schlingern geriet, packten der Basler Architekt Heini Dalcher und einige Stammgäste die Chance: Sie gründeten die «Kurhaus Bergün AG» und kauften das Haus. Schritt für Schritt begannen sie, ohne nach Gewinn zu streben, das Haus zu renovieren. Wobei Architekt Dalcher lieber vom «Reparieren» spricht.
Späte Blüte dank Sparsamkeit
Dalcher legte fest, dass die architektonischen Glanzstücke Priorität hatten: Entrée, Damensalon und Speisesaal wurden zuerst «repariert», um Aktionäre und neue Gäste zu gewinnen. Der Plan ging auf: Das «Kurhaus Bergün» erstrahlt seitdem nicht nur in neuem Glanz, sondern wurde zu einem Ensemble ausgebaut. Mit einem Neubau für das Personal, einem Sprudelbad mit 35 Grad warmem Quellwasser und einem Ruhepavillon.
Was Investoren 1904 anpackten, kommt 100 Jahre später zum Blühen. Das ist nicht zuletzt auch «Gemeinnützigen Genossenschaft für Familienherbergen» zu verdanken. Aus Sparsamkeit packte sie nie die Baueuphorie oder der Entsorgungswahn. So konnten Dalcher & Co viele Details der originalen Substanz restaurieren.