Höher, schneller, weiter: Wer richtig produktiv war, fühlt sich gut. Doch das Verständnis von Leistung in der modernen Arbeitswelt wird zunehmend zur Belastung für uns, sagt Wissenschaftler Hans Rusinek. Der New-Work-Experte gibt Tipps, wie man Sinn in seiner Arbeit findet und dabei produktiv bleibt.
SRF: Sie haben ein Buch geschrieben, sind Forscher an der Universität St. Gallen, beraten grosse Unternehmen, waren Keynote-Speaker bei TEDx. Das klingt wahnsinnig produktiv. Ist das für Sie ein Kompliment?
Hans Rusinek: Wenn ich mir meinen Lebenslauf anschaue, erinnert mich das daran, dass meine Arbeit – die kritische Betrachtung der Arbeitswelt – für mich eine Art Selbsttherapie ist. Auch ich habe noch nicht herausgefunden, wie man sich der Produktivitätskultur ganz entziehen kann. Ich bin Teil des Systems! Obwohl ich es kritisiere, ist mein Lebenslauf wohl mehr Ausdruck des Systems als der Kritik.
Sie beraten Unternehmen mit Blick auf Sinn in der Arbeit. Weshalb ist das nötig?
Ich bin Pragmatiker und gebe zu, dass unsere moderne Ökonomie eine gewisse Entfremdung von der Arbeit fordert. Wir können nicht alle dieselbe haptische Erfahrung mit unserem Produkt machen wie ein Bäcker.
Zweifel an bestehenden Arbeitslogiken zulassen – das ist für mich ein produktiver Moment.
Unternehmen sind aber darauf angewiesen, dass Menschen Sinn und Resonanz finden, weil es sie kreativ macht. Das ist kein «Nice-to-have», sondern ein entscheidender Wirtschaftsfaktor. Sinnfragen und Zweifel an bestehenden Arbeitslogiken zulassen – das ist für mich ein produktiver Moment.
Ihr Buch trägt den Titel «Work-Survive-Balance». Welche Tipps können Sie uns mitgeben, um den Arbeitsalltag besser zu überstehen und Produktivität mit Sinnhaftigkeit zu verbinden?
Pausen zur Reflexion können helfen, Probleme zu lösen und bessere Entscheidungen zu treffen. Sogar, um produktiver zu sein. Durch sie schaffen wir es, aus dem Status quo herauszukommen. Ausserdem: Es gibt viel mehr Freiräume in der Arbeit, als wir uns eingestehen.
Einfach mal weniger auf ‹Ja› klicken, wenn man ein Meeting reinbekommt.
Wir haben die Möglichkeit, der Chefin zu sagen: Wir brauchen jetzt nicht noch zwei Meetings, um über das Problem zu reden. Was ich eigentlich brauche, sind zwei Stunden Zeit, darüber nachzudenken.
Das heisst, wir sollten fordernder werden?
Einfach mal weniger auf «Ja» klicken, wenn man ein Meeting reinbekommt. Oder dem Kollegen sagen, dass wir statt des Zoom-Meetings gemeinsam im Park spazieren gehen. Allein die Körperlichkeit verändert die Qualität unserer Arbeit. Es sind solche kleinen Hacks, die den Unterschied machen. Arbeitnehmer müssen sich bewusst machen, dass sie hier etwas in der Hand haben.
Das Gespräch führte Barbara Bleisch und ist ein Auszug aus der Sternstunde Philosophie.