Die Semana Santa ist der Höhepunkt des spanischen Kirchenjahres. In der «heiligen Woche» vor Ostern, der Karwoche, finden in ganz Spanien Prozessionen statt. Sevilla ist berühmt für besonders lebensechte Figuren, die einzelne Szenen der Passion und Kreuzigung Jesu darstellen.
Wie Werbung für eine Gay-Pride?
Im Vorfeld werben jeweils grosse Kunstplakate für die Semana Santa – auch dieses Jahr: Das aktuelle Christus-Poster schuf der spanische Künstler Salustiano Garcia. Doch sein Jesus ist vielen zu sexy und verführerisch.
Laut einer Online-Erhebung halten 87 Prozent der Menschen Sevillas das Plakat für «unangemessen». Einige sagen, das Konterfei wirke eher wie Werbung für eine Gay-Pride als für eine Karfreitagsprozession.
Der Erzbischof von Sevilla hält sich raus: Das Plakat sei allein Sache der Veranstalter der Prozession. Das sind die «Hermandades», die Laienbruderschaften.
Typisch für den spanischen Barock
Die Jesus-Darstellung kommt nicht von ungefähr. Die andalusische Volkskunst wurzelt im spanischen Barock, einer Epoche ab dem 16. Jahrhundert. Diese zeichnet sich durch ihre Dreidimensionalität und einen teils starken Realismus aus. So zeigen auch Heiligenskulpturen nackte Haut – und strahlen damit natürlich auch eine gewisse Erotik aus.
Im Museo de bellas artes in Sevilla sieht man muskulöse, nackte Oberkörper von Märtyrern, die Schenkel und Waden Jesu, auf denen sich gespannte Sehnen abzeichnen. Ein sinnlicher Hyperrealismus. Dazu passt das aktuelle Plakat mit einem fotorealistischen Jesus eigentlich ganz gut.
Im Barock sollten Altäre, Prozessionen und Passionsschauspiele Leseunkundigen die Heilsgeschichte näherbringen. Sie waren Teil der Gegenreformation im katholischen Spanien und wollten Jesus im wahrsten Wortsinn «attraktiv» machen.
Frühe erotische Schwärmereien
Der Körper Jesu regte schon immer mystische Fantasien an. Dabei sind die Grenzen zwischen frommer und erotischer Schwärmerei fliessend. Schon bei Klosterfrauen im Mittelalter lässt sich dies beobachten: So hatte die Mystikerin Gertrud von Helfta um 1300 beglückende Visionen davon, wie «das Schwert» Jesu in sie eindringe.
Ebenso schufen schwule Künstler sakrale Werke mit klar homoerotischer Ästhetik, zum Beispiel Caravaggio mit dem heiligen Sebastian.
Plakatkünstler Salustiano Garcia jedoch verteidigt seinen athletischen Christus gegen erotische Schwärmerei: Jung und schön sei Christus gewesen, sagt Garcia der Zeitung El Pais: «Jung, als Metapher für Reinheit. Und schön, weil Schönheit und Güte dasselbe sind.»
Bewusstsein für Erotik im Sakralen
Dazu muss man wissen: Die spanische Gesellschaft steckt mitten in einem Kulturkampf. Die einen sind traditionell katholisch, halten Homosexualität weiter für Sünde und Frauen für Objekte. Die anderen sind sehr liberal, kämpfen für Gleichstellung.
Vielleicht hat die Heftigkeit der aktuellen Ablehnung eines erotischen Jesus auch damit zu tun, dass man sich heute eher bewusst ist als früher, dass es Erotik und Homoerotik auch in der sakralen Kunst gibt. Und weil wir solche Bilder heute auch automatisch erotisch lesen.