Um ihn herum wird wild die Spur gewechselt. Doch Erwin Schrümpf manövriert seinen Wagen gelassen durch den Athener Verkehr. Der Österreicher, der in der Krise eine Hilfsorganisation gegründet hat, ist alle vier Wochen vor Ort, mit mehreren Tonnen Hilfsgütern.
Gerade ist er auf dem Weg in ein Gemeindesozialzentrum, keine drei Kilometer von der Akropolis entfernt. Rund 200 solcher Hilfsangebote sind in den vergangenen Jahren allein im Grossraum Athen entstanden. Freiwillige verteilen warme Mahlzeiten, Nahrungsmittel, Medizin und Dinge des täglichen Bedarfs.
Viele sind auf Almosen angewiesen
Ein paar Frauen suchen in einem Berg von Altkleidung nach etwas Brauchbarem. Geregelte Arbeit hatte sie zuletzt 2012, sagt eine von ihnen.
Auch ihr Mann sei arbeitslos. Dass es aufwärts gehe, könne sie nicht erkennen: «Nach dem Wochenmarkt sehe ich Leute, die Abfälle einsammeln. Sogar gut gekleidete Leute. Sie holen das angestossene oder verfaulte Obst und Gemüse aus dem Rinnstein.»
Derweil bespricht Erwin Schrümpf, was am dringendsten benötigt wird. Ohne die Hilfe aus dem Ausland könnten sie nicht weitermachen, sagt eine der Sozialarbeiterinnen: «Unsere eigenen Ressourcen sind erschöpft. Teilweise holen sich Menschen bei uns Hilfe, die vor einigen Jahren selbst Spenden vorbeibrachten.»
Arbeiten, um zu überleben
Auch sie glaubt nicht, dass sich nach August irgendetwas ändern wird. Die Menschen versuchen heute schlicht zu überleben, stellt sie fest. «Wir haben keine Lebensperspektive. Wir wissen, dass wir arbeiten müssen, um immer neue Steuern zu bezahlen. Träume haben da keinen Platz. Wir glauben nicht mehr an eine bessere Zukunft.»
Dabei sieht es aus, als ob es aufwärts ginge. Die Rating-Agenturen stufen Griechenlands Anleihen sukzessive hoch. Die Wirtschaft ist im vergangenen Jahr um 1,4 Prozent gewachsen, der Tourismus boomt, und die Arbeitslosenrate liegt mit 20,8 Prozent immerhin so niedrig wie seit Jahren nicht mehr.
Internationales Schlusslicht
Doch die meisten neu abgeschlossenen Arbeitsverhältnisse sind prekär, darunter viele Teilzeitstellen, entlöhnt mit zwei- bis vierhundert Euro im Monat. Überstunden werden vorausgesetzt, häufig aber nicht bezahlt.
Die Internationale Arbeitsorganisation ILO zählt Griechenland zu den 25 Ländern mit den gravierendsten Verletzungen grundlegender Arbeitnehmerrechte weltweit.
Nur drei Prozent der griechischen Haushalte kommen heute problemlos über die Runden und können Geld auf die Seite legen. Das hat eine von der griechischen Handelskammer durchgeführte Studie ergeben.
Rund 15 Prozent gaben an, von ihrem Einkommen nicht einmal das Überlebensnotwendige bestreiten zu können.
Keine 500 Euro auf dem Konto
Auch die übrigen sparen. In erster Linie an Arztbesuchen, aber auch an Nahrungsmitteln, Heizung, Kleidung und fälligen Reparaturen.
Eine unvorhergesehene Ausgabe von 500 Euro wäre für mehr als die Hälfte aller griechischen Haushalte nur mit grosser Mühe zu stemmen.
Trotzdem möchte der Politologe Dimitris Katsikas von Griechenlands wichtigstem Think Tank Eliamep das Wort Krise nicht verwenden. Er spricht lieber vom neuen Status quo: einer neuen Lebenswirklichkeit mit deutlich geringerem Wohlstand, mehr sozialen Problemen und einer starken politischen Polarisierung.
Die Krise ist der neue Status quo
«Die Probleme, die infolge der Krise entstanden sind, werden uns noch lange begleiten», sagt Katsikas. «Ausserdem wird sich auch nach dem Memorandum nichts ändern. Griechenland hat sich zu rigiden Sparmassnahmen verpflichtet – und zwar bis zum Jahr 2060.»
Inzwischen hat der Europäische Rechnungshof der EU-Kommission Fehler vorgeworfen und für mögliche künftige Hilfsprogramme Nachbesserungen gefordert.
Der Politologe Dimitris Katsikas zieht eine ähnliche Bilanz. Und er sagt: Das Ende der Krise sei noch lange nicht in Sicht.