- Ein Besuch am Horn von Afrika zeigt, wie die Hungerkatastrophe die Menschen trifft.
- Weil die Regenzeit zum vierten Mal ausgefallen ist, stirbt das Vieh und die Nomaden gründen provisorische Dorfgemeinschaften.
- Viele Kleinkinder und ihre Mütter sind unterernährt und müssen medizinisch versorgt werden.
- Trumps Budgetpläne für die USA könnte das Ausmass der Krise vergrössern .
Ahmed Hurre Diiriye steht auf einem ausgedorrten Stück Land ausserhalb der Kleinstadt Dilla im Westen Somalilands. Der Vorsitzende des regionalen Dürre-Komitees zeigt auf Dutzende von toten, zum Teil halb verweste Ziegen, die hier einfach herumliegen: «Du siehst das tote Vieh, aber wenn wir den Menschen nicht helfen, werden auch sie sterben.»
Von 500 Ziegen bleiben 30
Die Ziegen gehörten der 45-jährigen Sahra Hawadle Haji, die mit all ihrem Hab und Gut aus dem Osten der unabhängigen Republik hierher kam, auf der Suche nach Wasser: «Vor fünf Monaten bin ich mit meiner Familie und meinen Tieren vor der Dürre geflohen. Ich hatte 500 Tiere, heute sind es gerade noch 30.»
Somaliland hängt am Tropf der somalischen Diaspora, das wird ganz deutlich in dieser derzeitigen Krise. Ohne die Gelder aus Übersee wäre die Katastrophe hier schon viel grösser.
Warnzeichen waren da
Bereits zum vierten Mal bleibt die Regenzeit aus. Im Herbst 2015 bahnte sich die Katastrophe bereits an: Die ersten Ernten fielen aufgrund des mangelnden Niederschlags aus. Die Warnzeichen waren deutlich zu erkennen.
Hilfsorganisationen wie CARE funkten ihre Einschätzungen an die UN-Zentralen in New York und Genf, wie der CARE-Landesdirektor für Somalia und Somaliland, Raheel Chaudhary, erklärt:
«Für viele von uns ist eine Dürre etwas ganz Normales in Somalia, aber im Januar dieses Jahres wurde ganz deutlich, welche Auswirkung diese drei fehlenden Regenzeiten haben. Jeder zweite Somali erlebte eine Hungerkrise und war auf Unterstützung angewiesen.»
Kinder warten auf Behandlung
Mitten in Hargeisa, der Hauptstadt Somalilands, liegt unscheinbar am Rande eines staubigen Platzes ein kleines Gesundheitszentrum. Dutzende von Frauen sitzen mit ihren Kleinkindern auf dem Boden, warten darauf, von einer Krankenschwester gesehen zu werden. Hier hat man in den letzten Wochen und Monaten einen starken Zuwachs an Kleinkindern ausgemacht, die unterernährt sind.
Etwa 130 kleine Patienten werden im Monat behandelt, Tendenz steigend. Dazu etliche schwangere Frauen, die ebenfalls unter Mangelerscheinungen leiden. Die Kleinen werden mit balasthaltigen Keksen aufgepäppelt.
Doch das reiche schon lange nicht mehr, sagt Fatima Abdi, die Leiterin des Zentrums. Denn nicht nur das eine Kind in der Familie sei unterernährt. Was fehlt, ist eine breitere Hilfe für die gesamte Familie.
Als Gemeinschaft sichtbar werden
800 Kilometer weiter östlich liegt Dangorayo, eine Kleinstadt in Puntland. Von dort geht es 40 Kilometer über eine Schotterpiste in Richtung des Dorfes Uskure. In unmittelbarer Nachbarschaft des Dorfes haben sich 200 nomadische Familien niedergelassen. Die Hütten sind aus Ästen, Planen und Decken gebaut. Hier gibt es kein fliessendes Wasser, keinen Strom. Sie alle haben ihre Tiere verloren.
Abdi Hassi ist der Vorsitzende der Dorfgemeinschaft. Im Schatten des einzigen Baumes weit und breit berichtet er von der Situation: «Die Leute sind hier, um Unterstützung zu finden. Aber vor allem damit jeder uns sehen kann. Die Welt soll uns als Gemeinschaft sehen – und die Lebensumstände hier. Die Not ist gross.»
Zweieinhalb Liter pro Tag
Medina Ahmed sitzt in ihrer Hütte in Uskure und flechtet einen Korb. Die Mutter von vier Kindern schildert, dass es nicht genug zum Essen gibt. Man teile alles mit den Nachbarn, aber es reiche hinten und vorne nicht. Der Regen müsse kommen, sagt sie. Das sei die einzige Hoffnung, die sie haben. Wasser und Nahrung wird einmal im Monat geliefert. Pro Tag stehen jedem hier zweieinhalb Liter Wasser zu.
Die Menschen in diesem abgelegenen Dorf machen die ganze Problematik der Krise offensichtlich. Ein Grossteil der somalischen Bevölkerung lebt als Nomaden. Normalerweise ziehen sie mit ihren Tieren umher, von Weideland zu Weideland. Doch nun sitzen sie fest, irgendwo im Nirgendwo, darauf angewiesen, Hilfe von aussen zu erhalten. Die Nomaden sind gestrandet, der Grossteil ihrer Tiere verendet.
Nur ein Schauplatz
Somalia ist nicht der einzige Schauplatz der Hungerkrise in diesen Tagen und Wochen. Die UN spricht von 20 Millionen Menschen in Ländern wie Nigeria, Südsudan, Jemen und Somalia, die betroffen sind und am Rande einer humanitären Katastrophe stehen. So viele wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr.
Dr. Ahmed Abdullahi Abdirahman ist der Direktor der «Humanitarian Affairs and Disaster Management Agency» mit Sitz in Garowe, der Hauptstadt Puntlands. Er überblickt das ganze Ausmass der derzeitigen Katastrophe in der Region. Abdirahman spricht von Zehntausenden Haushalten, die in Not sind. Krankheiten breiteten sich aus, sogar von Cholera-Ausbrüchen wird schon gesprochen.
Die Hälfte der Bevölkerung ist bedroht
«Die Alten sagten uns, dass diese Dürre die schlimmste seit 50 Jahren ist», sagt Abdirahman, «denn es gibt kein Weideland mehr für das Vieh. Die Leute können ihre letzten Tiere auch nicht mehr verkaufen, sie sind zu geschwächt.»
Die Dürre 2011, die weit über 200‘000 Menschenleben forderte, war auf einige Regionen in Somalia beschränkt. Doch heute, so Abdriahman, sei das ganze Land betroffen. Die Hälfte der somalischen Bevölkerung sei von der Hungerkatastrophe bedroht.
Eine fatale Entscheidung
Überall wohin man am Horn von Afrika fährt, liegen tote Tiere links und rechts der Strassen. Kinder in den ländlichen Gebieten sind massiv unterernährt. Es sind noch nicht die Bilder von abgemagerten Kindern, die wir alle aus Afrika kennen. Aber die akute Notlage ist bereits jederzeit und überall zu erkennen.
Somalia braucht Hilfe und braucht sie jetzt. Und das zu einer Zeit, in der es gleich mehrere Krisenherde weltweit gibt. Zu einer Zeit, in der die USA als grösste Spendennation weltweit unter Donald Trump die Ausgaben für die internationale Entwicklungszusammenarbeit um einen Drittel, die Zahlungen an die Vereinten Nationen sogar um über die Hälfte kürzen wollen.
Eine fatale Entscheidung zum absolut falschen Zeitpunkt. Die Region am Horn von Afrika wird allein gelassen.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 20.04.2017, 09:02 Uhr