- Die Freikirche ICF setzt auf populäre Kirchenmusik für ein junges Publikum. Die Songs schaffen es in die Schweizer Charts.
- Für diese Musik hat ICF eigens Songwriter und Musikerinnen engagiert. Sie betreibt einen Verlag, über den jährlich ein Album produziert wird.
- Susanne Schaaf von der Fachstelle für Sektenfragen «Infosekta» bezeichnet ICF nicht als Sekte, aber als «eine Freikirche mit gewissen sektenhaften Zügen».
«Jesus Christus / Du bist meine einzige Begierde»
«Ok, liebe Freunde», brüllt der MC ins Mikrophon, «ich geb’ euch ne Challenge». Der MC heizt die Stimmung mächtig auf. «Sag' jemandem neben dir, er trage etwas mega Tolles». Dazu pumpt ein harter Beat.
Sonntagabend, 19 Uhr. Ich sitze mit etwa 800 vor allem jungen Menschen in der Samsung Hall beim Bahnhof Stettbach in Zürich und habe gerade eben ein Kompliment für meine karierte Holzfällerbluse bekommen.
Unter der Woche treten hier Künstler wie der Blues-Sänger Rag'n'Bone Man oder der Rocker Alice Cooper auf. Jeden Sonntag aber verwandelt sich die Konzerthalle in eine Kirche. Eine Kirche ohne Altar, aber mit einer riesigen Bühne. Eine Kirche ohne Fenster, aber mit drei riesigen LED-Leinwänden, auf denen jeweils die Songtexte prangen.
«Jesus Christus / Du bist meine einzige Begierde», singt die Leadsängerin Tamara gemeinsam mit fünf Backgroundsängern, begleitet von einer fünfköpfigen Band. Die Gemeinde singt mit, viele von ihnen mit geschlossenen Augen und erhobenem rechten Arm.
Songs als Vehikel
20 Minuten dauert der musikalische Einstieg in die «Celebration», wie hier der Gottesdienst heisst. Und «Worship» – das ist der Name für die poppige Kirchenmusik.
«Beim Worship geht’s darum, dass die Leute mit Gott connecten», sagt Nicolas Legler. Er ist Pastor, Medien- und Musikverantwortlicher in Personalunion.
Ein cooler Typ: Undercut, Röhrenjeans, Sneakers. Rund 3000 Menschen besuchten jeden Sonntag die drei Gottesdienste, ergänzt er.
Ausnahmslos alle sind begeistert von der ICF-Musik. «Befreiend», «eine andere Welt», «berührend» sagen mir die jungen Frauen und Männer. Hier prallen zwei Welten aufeinander: die Ästhetik der aktuellen, freizügigen Popmusik und der evangelikale Biblizismus von ICF.
Schematisches Welt- und Menschenbild
Susanne Schaaf von der Fachstelle für Sektenfragen «Infosekta» in Zürich bezeichnet die ICF nicht als Sekte, aber als «eine Freikirche mit gewissen sektenhaften Zügen». Problematisch seien «die rückwärtsgewandten, dogmatischen Vorstellungen», etwa die Ansicht, Homosexualität sei Sünde.
Aber auch das schematische Welt- und Menschenbild, das nur in Gut und Böse unterscheide: «ICF propagiert, wer sich gegen Gott entscheidet, auf den wartet die ewige Verdammnis. Wer sich für Gott entscheidet, wird gerettet.»
Implizit zeigt sich diese Haltung in fast allen Songs: «Wir leben siegreich / mit unseren Augen auf dich gerichtet» oder «It's all about you, Jesus» – diese Zeile stammt aus dem aktuellen ICF-Hit. Der Song hat auf Spotify über 730’000 Streams, nicht wenig für einen Schweizer Song.
Eigenes Musikuniversum
Seit ihrer Gründung vor über zwanzig Jahren hat die Freikirche ICF ein eigenes, kleines Musikuniversum errichtet. Dazu gehören fünf festangestellte Songwriter und Musikerinnen, die nicht nur Songs, sondern jährlich auch ein Musical komponieren. Dazu gehören Tourneen durch Europa und ein Verlag, über den jährlich ein Album produziert wird.
Die beiden letzten Alben sind auf Platz 8 der Schweizer Albumcharts geklettert. Im Frühling dieses Jahres war es das Mundart-Album «Bärge versetze».
Im Titelsong heisst es: «Ich laufe im Glaube / Und luege nur uf dich, min Gott / (…) Wer a dich glaubt / Wird mit dir Wunder vollbringe».
«Nicht zu viel Text»
«Bärge versetze» ist durchschnittlicher Mundart-Pop. Weit weg von einem Meisterwerk, aber solid. Austauschbar. «Die Songs müssen singbar sein für eine grosse Masse», erklärt mir Dave, der als Songwriter bei ICF angestellt ist: «Das heisst, nicht zu viel Text und eingängige Melodien».
Der ICF-Musikverantwortliche Nicolas Legler ergänzt: «Die Songs sind ein Vehikel, mit dem die Menschen ausdrücken können, was Gott ihnen bedeutet». Die Songs sind aber auch ein Vehikel, um die Botschaften der Freikirche in den Gehörgang zu brennen.
Ich ertappe mich, wie ich auf dem Heimweg die Zeilen «Your love never fails» singe. Es geht ja gar nicht anders, nachdem ich sie in der Samsung Hall sieben Minuten lang in Dauerschleife gehört habe.