In der Offenen Kirche Bern kann man Ikonen bewundern – aber nicht nur. In der Ausstellung «Ikonen²» bekommen nämlich traditionelle Heiligenikonen provokante Gesellschaft von zeitgenössischer Kunst.
Der «Gottesgebärerin» Maria etwa stehen naturalistische Brüste in Hinterglasmalerei gegenüber. Und die Keramikkünstlerin Christine Aschwanden setzt Madonnen und Kitsch-Engelchen ihre selbst modellierten Pferdeköpfe und Larven auf.
Durch ein Bild direkt in den Himmel blicken können – das versprechen die traditionellen Ikonen der orthodoxen Kirchen. Sie verstehen Ikonen nämlich als Abbilder von den Urbildern Jesu, Mariens oder der Heiligen. Darum ist beim Ikonenmalen Kreativität nicht gefragt. Vielmehr muss sich ein Ikonenmaler strikt an die Maltradition halten. Er muss von den Vorbildern gleichsam abmalen.
Ikonenmalen ist ein religiöser Akt
Orthodoxes Ikonenmalen ist eine religiöse Handlung. Fasten, Beten und meist auch ein Klosteraufenthalt begleiten das fromme Handwerk.
Der rumänisch-orthodoxe Ikonenmaler Petru Tulei zeigt in Bern seine Engel-, Christus- und Marienikonen mutig im avantgardistischen Umfeld der Offenen Kirche.
Diskurs erwünscht
Die Berner Theologin Irene Neubauer wollte keine klassische Ikonenausstellung in der City-Kirche. Sie wollte einen zeitgenössischen Diskurs. Denn Neubauer erkennt grosses spirituelles Potenzial in der jungen Schweizer Kunst.
Danach hat der Kurator Stefan Maurer die zehn Schweizer Kunstschaffenden ausgesucht. Sie sollten spirituelle Kunst-Antworten auf ostkirchliche Ikonen formulieren.
Schmerz, Leid und das Göttliche – ein Thema für Künstler heute
Stefan Maurer ist selbst bildender Künstler. Er bewundert das Handwerk des Ikonenmalers Petru Tulei. Maurer selbst kann sich nicht vorstellen, so zu arbeiten. Sich in derart strenge Regeln und Traditionen einzupassen, sei ihm fremd.
Er hat aber mit seinem Triptychon auf quadratischen Holztäfelchen Werke geschaffen, die traditionellen Ikonen nahekommen. Sie zeigen seinen Oberkörper als Torso. Der erinnert sofort an den geschundenen Leib Jesu am Kreuz.
Maurer hat dabei viel nachgedacht über das Leiden, den Schmerz, unser Menschsein und immer auch noch irgendwie Tiersein. Sein individuelles Werk versteht er deshalb auch als spirituellen Beitrag.
Künstlerische Offenheit für spirituelle Suchbewegungen
Genau darum ging es der gastgebenden Offenen Kirche Bern. Die Theologin Irene Neubauer betont ihren Auftrag, als ökumenisches und interreligiöses Projekt den Diskurs über Spiritualität heute anzustossen.
So kommt es, dass heute Dinge erlaubt sind in der immer noch reformiert genutzten Heilig-Geist-Kirche, die vor 20 Jahren noch undenkbar gewesen wären. Auf der Empore etwa steht jetzt ein kleiner Voodoo-Kunst-Altar. Der wurde sogar mit einem Kunstritual «eingeweiht».
Altäre und Weihen sind in der reformierten Kirche an sich total verpönt. In der Offenen Kirche aber ist man da offener.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Blickpunkt Religion, 02.07.2017, 08:08 Uhr