Vor einigen Wochen erlebte ich die Zeitgeist-Forscherin Kirstine Fratz. Sie beschäftigt sich mit dem Zeitgeist, eben jenem Zeitgeist, der gerne und oft für alle möglichen unschönen Entwicklungen in der Welt herhalten muss. Nicht so bei Kirstine Fratz: Sie interpretiert den Zeitgeist als transformative Kraft, als Bewegung, die auf Veränderung drängt.
Diese Kraft sei notwendig, weil die Menschen die Welt, in der sie leben, zunehmend als inkohärent, als nicht stimmig erlebten. Der Blick von Fratz auf die aktuellen Strömungen, ja auf manche Krisen, ist ein anderer, ein deutlich freundlicherer. Und eine Interpretation des Zeitgeistes, die mich an die biblische Ruach, an die heilige Geistkraft erinnert.
Kirche am Ende oder am Anfang?
Wie die gesamte Gesellschaft stecken auch die christlichen Kirchen mitten in grossen Veränderungen. Manche halten sie für Dinosaurier: schwerfällig, in die Jahre gekommen. Die Kirchen hätten sich überlebt. Andere halten daran fest, dass die Kirche auch Volkskirche sein soll und dass sie, auch wenn sie hierzulande schrumpft, im Kern ihr Erbe bewahren und weitergeben soll.
Und dann gibt es Stimmen wie die von Tilmann Haberer, einem Theologen, der gerne über Grenzen hinaus denkt, etwa in seinem Buch «Gott 9.0». In «Von der Anmut der Welt» übersetzt er zentrale Themen des christlichen Glaubens in die heutige Sprache. Anmut etwa ersetzt bei Haberer das alte Wort «Gnade». Mit frischen Gedanken und neuem Vokabular könnte sich das Christentum transformieren und lebendig bleiben.
In seinem aktuellen Buch «Kirche am Ende» skizziert Haberer nun «16 Anfänge für das Christsein von morgen». Er beschreibt darin Bewegungen und Gemeinschaften, die kleiner und flexibler sind, ohne Immobilienbesitz oder lebenslange Mitgliedschaften.
Vertrauen als Schlüssel
Bei Haberer klingt keine Angst durch, etwas Grosses zu verlieren. Sondern das Vertrauen, dass das viel Grössere – die Lebendigkeit selbst – sich ihren Weg bahnt.
Vertrauen – das sollte die Christenheit haben, wenn es um die grossen Veränderungen geht, die wir derzeit miterleben, sagt auch der Basler Theologie-Professor Reinhold Bernhardt im SRF Kultur-Talk.
«Der Geist weht, wo er will» – so heisst es schon in der Bibel, auch ausserhalb von Kirchenmauern, auch ausserhalb dessen, was irgendwie als «christlich» gelabelt ist. So schreibt es Theologe Jörg Lauster in «Der Heilige Geist».
Ein Fest des Staunens und Leuchtens
Das Pfingstwunder beschränkt sich nicht auf ein Ereignis vor mehr als 2000 Jahren; es geht auch nicht um die Frage, ob damals buchstäblich eine Geisteskraft über die Menschen kam und Feuerzungen über ihren Köpfen schwebten.
Viel spannender scheint es mir, nach Impulsen im Hier und Jetzt zu suchen und zu spüren: Wo geschieht etwas, das dem Leben dient? Das verbindet, über Grenzen hinweg? Das uns inspiriert, etwas zu gestalten, allen Widrigkeiten zum Trotz?
Dann können sich Begegnungen ereignen, die sich so belebend anfühlen, dass Menschen ins Staunen geraten und von innen heraus zu leuchten beginnen – solche Geschichten versammelt ein jüngst erschienener Schweizer Band des TVZ-Verlags: «Plötzlich dieses Leuchten».